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Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Titel: Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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schon früher gehört haben, nämlich dass die deutschen Träger zum Teil gefesselt sind, wenn sie sich im Lager befinden, damit sie in der Nacht nicht fliehen können.

120.
    Mitte Oktober 1916
    Florence Farmborough verliert ihr Haar
     
    Vor einigen Wochen, als das Fieber besonders schlimm war, glaubte sie eines Nachts, drei Gesichter zu haben: Eines war ihr eigenes, ein zweites gehörte einer ihrer Schwestern, und das dritte war das eines verwundeten Soldaten. Von allen dreien rann der Schweiß, und sie mussten unaufhörlich abgewischt werden. Als das Wischen aufhörte, wusste sie, dass sie sterben würde. Sie versuchte, eine Krankenschwester zu rufen, stellte aber fest, dass sie keine Stimme mehr hatte.
    Jetzt hält sich Farmborough auf der warmen, von der Herbstsonne beschienenen Krim auf, um sich zu erholen. Das Krankenhaus, in dem sie gepflegt wird, ist zwar ein Sanatorium für Tuberkulosekranke, aber sie darf sich trotzdem dort aufhalten. Draußen ist es noch grün, und sie hat sich erstaunlich schnell erholt. Sie schreibt in ihr Tagebuch:
     
Um mein Haar stand es schlecht, es löste sich in großen Büscheln. Eines Tages kam der Friseur in mein Zimmer und schnitt mir nicht nur alles Haar ab, sondern rasierte auch meinen Kopf! Man versicherte mir, ich bräuchte darüber nicht betrübt zu sein, das Haar werde bald nachwachsen, stärker und dichter als zuvor. Seit diesem Tag trug ich meinen Schwesternschleier, und niemand außer einigen Eingeweihten konnte ahnen, dass sich darunter ein kahler Schädel verbarg, auf dem nicht ein einziges Haar zu finden war!
***
    Um die gleiche Zeit notiert Michel Corday in seinem Tagebuch:
     
Albert J., der jetzt auf Urlaub ist, spricht vom Hass der Soldaten auf Poincaré, weil der den Krieg begonnen habe. Er sagt, das, was die Männer bewege, an einem Angriff teilzunehmen, sei die Angst, sonst als feige dazustehen. Er erwähnt auch lachend, dass er heiraten wolle, weil er dann Anspruch auf vier Tage Urlaub habe und noch drei dazu, wenn Kinder geboren werden – und dass er auf eine Freistellung hoffe, wenn er erfolgreich sechs Kinder produziert habe.

121.
    Donnerstag, 19. Oktober 1916
    Angus Buchanan liegt krank in Kisaki
     
    Das Bett, auf dem er ruht, ist aus Gras gemacht, und obwohl er sich heute besser fühlt als an den vorangegangenen Tagen, ist er immer noch sehr schwach. Ruhr. Alle kennen die Symptome: Bauchschmerzen, Fieber, blutiger, schmerzhafter Durchfall. Buchanan hat lange zu den Gesunden gezählt, aber schließlich hat es auch ihn erwischt.
    Denn der Feldzug und die Strapazen gehen weiter. Es ist inzwischen ein reiner Guerillakrieg, in dem der Gegner gezwungen wurde, sich vom Panganifluss ins Innere Deutsch-Ostafrikas zurückzuziehen. Und Buchanan und die anderen haben ihn durch den Busch verfolgt, in südlicher Richtung. Manchmal sind sie durch bewohnte Gegenden gekommen, die Versorgung wurde dann vorübergehend besser, denn sie konnten mit der örtlichen Bevölkerung Tauschhandel treiben.  73 Einmal konnte Buchanan zwei Hühner und sechs Eier gegen ein altes Hemd und eine Weste tauschen.
    Und doch gab es ein paar Erfolge. Ende Juni gelang es ihnen ausnahmsweise, die ständig ausweichenden deutschen Verbände am Lukigurafluss in ein richtiges Gefecht zu verwickeln. Trotz der Erschöpfung haben sich die 25   th Royal Fusiliers wieder einmal besonders hervorgetan, zunächst durch einen schnellen Flankenmarsch, dann durch einen gewagten Überfall mit gezogenen Bajonetten, der die Gegner in die Flucht schlug. Die wichtige Stadt Morogoro – sie liegt an der zentralen Eisenbahnlinie – wurde Ende August eingenommen, allerdings erst nach verlustreichen Kämpfen und mühsamen Märschen durch eine unwegsame Gegend, die teils hügelig, teils sumpfig und morastig war. Dar es-Salaam, der größte und wichtigste Hafen der Kolonie, befindet sich seit Anfang September in britischer Hand. Als die Division, der Buchanan angehört, weiter nach Süden vorstieß, setzten die Deutschen ihren Rückzug fort, Schritt für Schritt und unter ständigen Scharmützeln.
    Ende September, nach einem weiteren gescheiterten Versuch, den Gegner zu fassen, kam alles zum Stillstand. Die Versorgungslinien waren inzwischen allzu sehr überdehnt, die Vorräte allzu sehr geschrumpft, die Mannschaft allzu erschöpft. Buchanans Kompanie bietet einen traurigen Anblick. Die meisten Männer sind ausgemergelt, viele marschieren mangels Kleidung mit nacktem Oberkörper oder barfuß in ihren Stiefeln.

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