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Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Titel: Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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Tieren. Gleichzeitig sah man an geschwärzten Hauswänden, die qualmend und schwankend einzustürzen drohten, große purpurfarbene Flecken, die roten Nelken ähnelten, Nelken von Blut, die zeigten, wo Verwundete und Sterbende ihre Brust oder ihren Kopf angelehnt hatten, bevor sie den letzten Seufzer taten. Als die letzten roten und goldenen Strahlen der Sonne in der dunklen Tiefe des Himmels erloschen waren, stiegen die klagenden Laute der Muezzins von den Minaretten auf, um den treuen Anhängern des Propheten mitzuteilen, dass der Engel des Todes seine Flügel über einer Wüste ausgebreitet hatte, in der Tausende christliche Soldaten jetzt einen ehrenvollen und ewigen Schlaf unter dem sternenbedeckten Himmel Palästinas schliefen.
     
    Er reitet zurück ins Lager, wo sein Pferd beinahe vor Erschöpfung zusammenbricht. Dann wickelt de Nogales sich in seine Wolldecke und legt sich hin, den Kopf auf die Flanke des Tiers gebettet. Er schläft schnell ein.

138.
    Ein Tag im April 1917
    Pál Kelemen übt bei Kolozsvár das Schießen mit dem Maschinengewehr
     
    Nun hat die moderne Zeit auch die österreichisch-ungarische Armee eingeholt. Die Kavallerie, ihr ganzer Stolz, die Truppe mit den schönsten Uniformen, das Juwel in ihrer Krone, soll aufgelöst werden. Sie hat zuletzt keine richtige Funktion mehr erfüllt, kann im Kampf fast nie eingesetzt werden. Als man es versuchte, wurde ein ganzes Regiment von Maschinengewehren niedergemäht. Die Kavallerie hat nicht viel anderes tun können, als Kriegsgefangene zu bewachen, hinter den Linien zu patrouillieren und farbenfrohe Paraden zu reiten. Außerdem brauchen die Tiere enorm viel Futter, wie alles andere zurzeit Mangelware.  9
    Es hilft wenig, dass die österreichisch-ungarische Reiterei im Ruf steht, die weitaus schönsten Uniformen auf dem Kontinent zu besitzen. Nein, es ist ein Stück altes Europa, das jetzt verschwindet, da die ehedem Berittenen sich für immer von ihren pelzbesetzten blauen Jacken, bestickten roten Hosen und kammgeschmückten Lederhelmen verabschieden, von ihren Federbüschen und Spangen und Schnüren und Goldknöpfen und Trensen und hohen Stiefeln aus blank gewienertem gelbbraunem Leder. Stattdessen tragen sie jetzt das triste, praktische, billige, anonyme Hechtgrau der Infanteristen. Auch Kelemens Regiment soll aufgelöst und seine Männer zu Fußsoldaten gemacht werden, was er zutiefst bedauert, und das nicht nur, weil der Dienst in der Infanterie gefährlicher und mühsamer ist; offensichtlich ist es auch der Ästhet und Snob in ihm, der sich sträubt. Als er sich zu jener Übung in Maschinengewehrschießen meldete, die ihn zum Infanterieoffizier machen sollte, nahm der Hauptmann, der ihn empfing – ein Mann «mehr als mittleren Alters, unrasiert, mit zerknitterter Uniformjacke» – sofort Anstoß daran, dass Kelemen immer noch die für die Kavallerie typischen Schulterklappen aus Gold trug, und erklärte knapp: «Die müssen ab.» Kelemen hat sich dennoch erlaubt, sie einfach dranzulassen.
    Die Übung ist unerträglich langweilig, ebenso die Stadt, in der er wohnt, und auch die anderen Übungsteilnehmer. Alles bereitet ihm Überdruss. An diesem Nachmittag fahren sie im Pferdewagen zu der abseits gelegenen Schießbahn, um mit scharfer Munition zu üben. Sie kommen an einem Dorf vorbei. Die flache und öde ungarische Landschaft erstreckt sich bis zum Horizont. Es hat vor kurzem geregnet, und dicke Wolken verdecken die Sonne. Dann erreichen sie ihr Ziel. Kelemen notiert in seinem Tagebuch:
     
Die Kirchturmspitze des Dorfs liegt weit hinter uns. Zur Rechten steht ein strohgedeckter Windschutz, der hier auf der Schießbahn der Maschinengewehrabteilung ein zentrales Element ist. Die Zielfiguren stecken wie bizarre Vogelscheuchen in der lehmigen Erde, und in einem neu ausgehobenen Schützengraben sind zwei Maschinengewehre aufgestellt, einsatzbereit.
Sie beginnen zu feuern. Die Kugeln fliegen auf die Zielfiguren zu. Nach der nahezu atemlosen Stille tut dieser unablässige Lärm in den Ohren weh. Ich entferne mich so weit wie möglich von den Maschinengewehren und wende mich dem immer dunkler werdenden Firmament zu; rußige Streifen im Westen zeigen an, dass es Abend wird. Im Süden schweben gefärbte Wolken, und die weißen Mauern eines Bauernhofs in der Ferne leuchten matt in den letzten Strahlen der Sonne. Das ganze weite Feld hallt wider vom Lärm der Kugeln.
Ich dachte, nur Soldaten wohnten der Übung mit diesen grässlichen Mordmaschinen bei.

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