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Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Titel: Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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offene linke Flanke der osmanischen Verteidigungslinie handelt. Sollte der Feind hier durchbrechen, kann er leicht in die rückwärtigen Gebiete vorstoßen und etwa das osmanische Hauptquartier in Tel el-Sharia bedrohen.
    Dieser große britische Angriff zeigt einmal mehr, dass das Kriegsglück im Nahen Osten sich langsam wendet. Nachdem im vergangenen Sommer der zweite osmanische Versuch, den Suezkanal unter Kontrolle zu bringen, scheiterte, sind die Briten zum Gegenangriff übergegangen. Ihr systematisches Vorgehen basiert auf bitteren Erfahrungen. Palästinas äußerste und im Grunde effektivste Verteidigungslinie, die Wüste, wurde gleichsam durchbrochen, indem man eine schmalspurige Eisenbahn gebaut und eben jene Trinkwasserrohrleitung verlegt hat, die de Nogales nicht finden konnte.
    Die Nacht ist kalt und neblig.
    Im Morgengrauen hört man aus der Gegend um Gaza das Geräusch schwerer Artillerie. Nach und nach verdichtet sich das Getöse durch das Rattern von Maschinengewehren. Der Angriff hat begonnen.
    Sie erhalten einen ersten Bericht: Über einige rasch errichtete Brücken haben die Briten unerwartet schnell den wadi überquert. Panzerwagen und nachfolgende Infanterie haben damit begonnen, sich den Weg nach Gaza freizuschießen, während gleichzeitig Reiterei um die Stadt herum aufgezogen ist und sie jetzt von hinten abzuschneiden droht. Ein deutscher Offizier, mit dem de Nogales spricht, ist pessimistisch. Die Lage der Stadt sei ziemlich hoffnungslos; vielleicht ist sie schon gefallen? Als es hell wird, erkennen sie in der Ferne den Qualm von Explosionen und Bränden, die Gaza umgeben.
    Die osmanischen Kavallerieregimenter warten indes weiter auf den britischen Angriff. Aber nichts passiert. Sie erhalten den Befehl, aufzusitzen und am wadi entlang in Richtung Gaza vorzurücken. In dieser Lage fällt de Nogales die Aufgabe zu, die Munitionswagen in Sicherheit zu bringen, aber er beschließt, stattdessen nach einem verirrten Verband zu suchen. Als er ihn gefunden hat, folgt er ihm in den Kampf gegen die britischen Verbände, die die Stadt Gaza umschließen. De Nogales erklärt, dass ihn, seiner Erschöpfung zum Trotz, wie alle anderen jene Mischung aus Begeisterung und Hingabe antreibe, die «das Heulen der ersten Granaten und Schrapnells, die über [unseren] Köpfen explodieren, selbst im schwächsten Gemüt auslösen muss».
    Britische Kampfflugzeuge fliegen über ihre Köpfe und werfen Bomben ab. Bald kann er ein «großartiges Panorama» betrachten, nämlich das Schlachtfeld rund um Gaza, das auf einer Breite von dreißig Kilometern in dicken Rauch gehüllt ist, aus dem ständig rote Stichflammen und Granatenexplosionen hervorschießen.
    Erst später erinnert sich de Nogales an seine ursprüngliche Aufgabe. Er zieht sich aus dem Kampf zurück und reitet zusammen mit seinem Burschen los, um die Kolonne mit den Munitionswagen zu suchen. Ihre Pferde sind müde, die Körper der Tiere triefen vor Schweiß. Als die beiden Männer auf den Konvoi stoßen, müssen sie miterleben, wie dieser irrtümlich von einer der deutschen Artilleriebatterien, die eigentlich die osmanische Armee in Palästina unterstützen sollten, «mit beneidenswerter Feuerkraft und Präzision» bombardiert wird. Nach erheblichen Verlusten, nicht zuletzt an Zugtieren, wird der Konvoi durch die Hilfe eines deutschen Kampfpiloten vor weiterem Beschuss bewahrt; er hat den Irrtum bemerkt und der Batterie signalisieren können, das Feuer einzustellen.
    Im dämmernden Abendlicht führt de Nogales die Kolonne weiter ins Hauptquartier bei Tel el-Sharia. Dort trifft er den Befehlshaber der Gazafront, den deutschen General von Kressenstein. Der Deutsche ist hektisch damit beschäftigt, Telegramme in alle Himmelsrichtungen zu versenden – er ist davon überzeugt, die Schlacht sei verloren. Auch de Nogales scheint dies zu glauben, denn ringsum herrscht Konfusion. Er ist deshalb ziemlich erstaunt, als er im gleichen Moment, in dem er aufsitzen will, um zur Front zu reiten, erfährt, dass die Briten aus einem unerfindlichen Grund ihren Rückzug begonnen haben.
    Die Schlacht ist vorbei. Beide Seiten betrachten sich als Verlierer, doch die Briten waren beim Rückzug einfach schneller.
    Am Abend reitet de Nogales in die mondbeschienene, zerschossene Stadt Gaza:
     
Überall herrschte Totenstille. Mitten auf der Straße, zwischen rußigen Dachsparren und zerstörten Wagen, lagen Hunderte von Leichen, die verbrannten und zerfetzten Überreste von Menschen und

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