Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)
schnell es geht auf die ferne Rauchwolke zu. Es sind vielleicht fünf Kilometer bis dort.
Er will das Leben des Piloten retten. Oder zumindest seine Leiche bergen.
Er weiß nämlich, dass die arabischen Partisanenverbände, die für die osmanische Armee kämpfen, alle feindlichen Verwundeten, die sie finden, töten und ausplündern. In der Nacht ist er auf nackte und verstümmelte Körper britischer Soldaten gestoßen. Und er begegnete einem Partisanenführer, der ein Pferd bei sich hatte, das mit Gewehren, blutigen Uniformen, Stiefeln, Gürteln und dergleichen bepackt war – der Mann hatte sie den Gefallenen abgenommen. Er zeigte ihm ein blasses, längliches Ding, das sich im Schein der Taschenlampe als ein menschlicher Arm herausstellte, ein Arm, den er direkt unter dem Ellenbogen abgetrennt und mitgenommen hatte, wegen der schönen Tätowierungen. De Nogales hatte ihm den Arm abgekauft und dafür gesorgt, dass er begraben wurde.
Sie erreichen die Aufschlagstelle, aber es ist bereits zu spät.
Der Pilot liegt tot unter den Trümmern seines Flugzeugs. Sein Körper ist nackt. Die Füße sind abgehackt, offenbar wollten die Plünderer bei ihrer Jagd nach seinen Stiefeln Zeit sparen.
Der tote Offizier hatte eine Haarfarbe zwischen lederbraun und rot und war noch ganz jung. Die einzige auffällige Wunde an seinem Körper befand sich an seiner Brust, wo ein Granatsplitter eingedrungen war und die Lunge durchbohrt hatte. Durch den heftigen Aufprall, nach einem Fall aus mehr als tausend Metern, waren seine blauen oder hellbraunen Augen aus ihren Höhlen getreten.
Über ihnen kreist die Maschine eines Kameraden des Toten, der auf Rache sinnt.
Vielleicht liegt es an der Anmut des Toten oder nur daran – wie de Nogales selbst sagt –, dass er Respekt empfindet für einen so edlen und unerschrockenen Feind – jedenfalls kann er es nicht über sich bringen, seine Leiche den Wüstenhunden zum Fraß zu überlassen. Mit gezogenem Revolver befiehlt er einem Mann, den Körper des Toten auf sein Dromedar zu laden und nach Abu Hureira zu bringen.
Dort sorgt de Nogales dafür, dass der Tote ein ordentliches Begräbnis erhält. Ein Sarg ist in der Eile nicht aufzutreiben, also wickelt er den Gefallenen in seinen eigenen Mantel. Er nimmt das kleine Kreuz aus Gold, das er seit seinen Kinderjahren um den Hals getragen hat, und befestigt es, wie eine Medaille, an der Brust des Toten.
140.
Mittwoch, 25. April 1917
Alfred Pollard schreibt einen Brief an seine Mutter
Was ihn antreibt, ist die Vorstellung, die auch viele Generäle an ihren Angriffsplänen festhalten lässt: nämlich, dass die eigenen Verluste zwar beträchtlich, die des Feindes aber noch weit höher sind. Alles nur eine Frage der Zeit und des Durchhaltevermögens, dann wird die feindliche Front zusammengebrochen und der Krieg entschieden sein. (Die Bezeichnung push für einen großen Angriff verdankt sich dieser Mentalität. Man benötigt eben nur einen tüchtigen Stoß, um die Deutschen in die Knie zu zwingen.) Der planmäßige deutsche Rückzug in Frankreich wird – nicht ganz zu Unrecht – als ein Zeichen von Schwäche bewertet.
Pollards Einheit gehört zu denen, die den Deutschen auf ihrer Spur folgen. Einmal hat er seine Kompanie auf einen Hügel geführt und von dort zum ersten Mal seit fast drei Jahren unverhofft eine frühlingsgrüne Landschaft erblickt, die vom Krieg fast unberührt war. Da glaubte er wirklich, das baldige Ende der Kämpfe stehe bevor, und es ginge nur noch darum, den Druck weiter zu verstärken. Und er war deprimiert, als die Nachricht kam, dass sein Verband abgelöst werden sollte, jetzt, da sie so nahe am Ziel waren. «Aber Befehl ist Befehl.» Die Kompanie, auf nur 35 Mann geschrumpft, trat auf matschigen Wegen den Rückzug an. Die Frühlingssonne war so warm, dass sie ihre Mäntel ausziehen konnten.
Als die britische Armee Anfang April eine neue Offensive startete, diesmal bei Arras, hielt sich Pollard gerade in einem Basislager auf, wo er eine Verletzung banaler Art kurierte; er war im Dunkeln gestolpert und hatte sich den Fuß verstaucht. Er wollte bei dem Angriff aber auf jeden Fall dabei sein und begab sich deshalb rasch zu jenen Frontabschnitten, wo sein Bataillon eingesetzt werden sollte. Einmal mehr erhält er den Auftrag, Spähtrupps ins Niemandsland zu führen.
An diesem Tag schreibt er an seine Mutter:
Kürzlich hatte ich ein spannendes Erlebnis in einem Schützengraben der Hunnen. Ich hatte mir
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