Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)
Aber aus einem der mechanischen Brunnen steigt mit raschen Flügelschlägen ein Schwarm Wildgänse auf und kreist unentschlossen in der Luft. Eines der Gewehre wird auf sie gerichtet. Einige Vögel fallen zu Boden. Morgen erwartet uns ein gutes Essen.
139.
Freitag, 20. April 1917
Rafael de Nogales und die Endphase der zweiten Schlacht bei Gaza
Sie befinden sich ein gutes Stück hinter der Front und sind überzeugt, dass das Schlimmste vorüber ist. Am Tag zuvor hat die Schlacht ihren Höhepunkt erreicht: De Nogales ist zwei Kavallerieattacken mitgeritten. Beim ersten Angriff fühlte es sich an, als hätte er den «Befehl zur eigenen Hinrichtung» erhalten. Osmanische Reiterei gegen britische Maschinengewehre. Dennoch ging es auf merkwürdige Weise gut. Er ist zwar am Schenkel verwundet worden, doch sein Leibwächter Tasim hat die Blutung mit einem Stück Kautabak gestoppt, «was ein wenig brannte, aber sehr gut wirkte».
Vor knapp einem Monat hatte also die erste Schlacht bei Gaza stattgefunden, ein verworrener und verlustreicher Kampf, den beide Seiten zunächst verloren zu haben glaubten, der aber mit einem osmanischen Sieg endete, weil die Briten – teilweise wegen Wassermangel – ihre Geländegewinne wieder aufgaben. Die zweite Schlacht bei Gaza ist weitgehend den übertrieben optimistischen und teilweise völlig unzutreffenden Berichten geschuldet, die der britische Befehlshaber nach London geschickt hatte, und die die Verantwortlichen erneut hoffen ließen, dass ein großer Durchbruch bevorstehe: Es seien nur ein paar mehr Soldaten nötig, noch einige Geschütze, ein einziger Angriff – und so weiter.
Wieder zu Kräften gekommen durch eilig herangeschaffte Verstärkung (unter anderem in Form von acht Panzern und 4000 Gasgranaten) und das Versprechen weiterer Lieferungen, falls es gelingen sollte, den Weg nach Jerusalem zu öffnen, haben die Briten gestern erneut einen großen Angriff gestartet. Das Ganze erinnerte an zahlreiche gescheiterte Aktionen an der Westfront, mit Luftangriffen, massiven aber sinnlosen Artilleriebombardements, havarierten Panzern und Infanterieangriffen, die vor gut ausgebauten Schützengräbensystemen abgewehrt wurden. Die Kavalleriedivision, der de Nogales angehört, hat auf ihre Weise zum Erfolg beigetragen, indem sie die britische Flanke beschäftigt hat. Im Morgengrauen wurden er und die anderen Offiziere von einem Boten des Befehlshabers von Gaza, Oberst von Kressenstein, aufgesucht, der ihnen dankt und sie zu ihrem Einsatz beglückwünscht. Die zweite Schlacht bei Gaza ist jetzt im Prinzip geschlagen. Die Briten haben den Durchbruch nicht geschafft.
Eine Viertelstunde später ist die ganze Division im Morgenlicht auf dem Weg nach Abu Hureira, einem Sumpfgebiet im Hinterland. Dort sollen sie Wasser für ihre Pferde suchen und sich selbst ausruhen. Die vielen Reiter wirbeln gewaltig viel Staub auf, der in der immer wärmer werdenden Luft wie ein riesiger Schweif hinter ihnen herzieht. De Nogales ist besorgt, denn die Briten können die Wolke gewiss sehen und erkennen, dass ein größerer Verband unterwegs ist. Der Divisionskommandeur schiebt seine Befürchtungen jedoch mit einem Lächeln beiseite. Als sie das Sumpfgebiet erreichen, formieren sie sich in exakten Regimentskolonnen.
Kaum sind sie abgesessen, geschieht es.
Zuerst hört man nur das Brummen von Motoren. Dann tauchen fünf, sechs britische Doppeldecker auf. Bombe auf Bombe explodiert zwischen den dicht gedrängten Männern und Pferden, Bomben, die ihnen in einer halben Minute größere Verluste zufügen, als sie während des gesamten gestrigen Tages zu erleiden hatten:
Fast zweihundert Pferde lagen im Todeskampf am Boden – oder flohen in alle möglichen Richtungen, während Blut spritzte und Eingeweide heraushingen; sie rissen Reiter mit sich, die sich in den Steigbügeln verfangen hatten, und zerstampften unter ihren Hufen Soldaten, die unbedacht genug waren, sie aufhalten zu wollen.
Rafael de Nogales ist sehr beeindruckt von den Piloten, die einen «besonders brillanten Angriff» geflogen haben.
Einer deutschen Flugabwehrbatterie in der Nähe gelingt es indessen, zwei der Maschinen abzuschießen. Die eine verschwindet taumelnd am Horizont. Die andere stürzt senkrecht ab, eine Rauchfahne hinter sich herziehend, mit der Schnauze voran nach unten. De Nogales beobachtet, wie sie auf die Erde aufschlägt. Sofort schwingt er sich aufs Pferd. Begleitet von einer Ulanenpatrouille reitet er so
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