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Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Titel: Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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ausnahmsweise ruhig um die zerschossene Stadt. Etwas weiter südlich ist die englische Offensive bei Arras im Gang, und unten an der Aisne tobt eine weitere Schlacht, am Chemin des Dames.  11
    Die Flugroute geht Richtung Nordosten. In einer Höhe von knapp über dreitausend Metern passieren sie Langemarck und das alte Schlachtfeld von 1914. Als die Maschine den großen Wald bei Houthulst überfliegt, entdeckt Coppens endlich, was er gesucht hat. Unter sich sieht er vier deutsche einsitzige Maschinen, die zu ihnen aufsteigen. Er hält sie unter genauer Beobachtung (er will sich selbst in Angriffsposition bringen), zu genau, denn er bemerkt nicht, dass sich gleichzeitig vier andere feindliche Jäger aus der entgegengesetzten Richtung angeschlichen haben.
    Ein klassischer Anfängerfehler.
    Coppens ahnt nichts, bis die erste ratternde Salve trifft.
    In diesem Krieg haben Kampfpiloten die Wahrscheinlichkeit immer gegen sich. Die Maschinen sind leicht entzündlich, die Konstruktionen fragil, die Motoren schwach, die Deckung unzureichend, die Waffen unzuverlässig. Fallschirme gibt es noch nicht, und als sie verfügbar sind, verbieten die meisten Luftstreitkräfte ihre Benutzung, da man meint, sie verführten die Kampfpiloten dazu, ihre Maschinen leichtfertig aufzugeben.  12 Der Umstand, dass die Motoren am Boden manuell gestartet werden und keine Startermotoren existieren, bringt es mit sich, dass bei einem Aussetzen des Motors in der Luft keine Gegenmaßnahmen möglich sind. (Der Luftkampf findet üblicherweise in Höhen zwischen dreitausend und sechstausend Metern statt. In dieser Höhe ist es immer kalt, was für die Flieger in ihren offenen Cockpits eine Qual ist und auch dazu führt, dass die Motoren aufgrund von Problemen mit der Kühlung und der Schmierung leicht ausfallen.) Nicht nur die plötzliche Stille nach einem Absturz findet Coppens unangenehm; die plötzliche Stille nach einem Motorausfall in der Luft ist fast ebenso schlimm.
    Man kann sich fragen, ob irgendjemand schlechter dran war als die alliierten Flieger, die sich im Spätfrühling 1917 in den Luftkampf begaben. Später sprach man mit Schrecken vom «blutigen April». Mit Hilfe technisch überlegener Maschinen, verbesserter Ausbildung und neuer Taktik gewann die deutsche Fliegertruppe langsam die Lufthoheit. Diese Überlegenheit zeigt sich gerade jetzt, während der Offensive bei Arras. Die Franzosen zogen viele ihrer übel zugerichteten Geschwader ab, um sie wieder aufzubauen, die Briten dagegen wollten lieber weiter kämpfen, in der eitlen Hoffnung, durch zahlenmäßige Überlegenheit  13 technische und fliegerische Mängel ausgleichen zu können.
    Das Ergebnis war ein Massaker. Im vorangegangenen Monat verlor Großbritannien ein Drittel seiner Jagdflugzeuge. Ein britischer Kampfpilot ist im Durchschnitt nur siebzehneinhalb Stunden in der Luft, bevor er getötet wird.
    Willy Coppens ist jetzt drauf und dran, in diese Statistik einzugehen. Die Salve des deutschen Gegners trifft seine Maschine. Ein Teil des Geschosses, das einen Verstagungsdraht getroffen hat, schlägt mit gewaltiger Kraft an seine linke Kopfseite, allerdings ohne eine Wunde zu hinterlassen. Der Schlag wirft ihn jedoch nach rechts, der Steuerknüppel macht die unfreiwillige Bewegung mit – und damit das ganze Flugzeug. Ein Glücksfall, denn so trifft die Salve die Maschine in Längsrichtung des Rumpfs, nicht frontal.
    Coppens kommt es vor, als werde er «mit heißem Blei bespritzt». Hinterher räumt er immerhin ein: «Beschossen zu werden ist schlecht für das Nervensystem.»
    Trotz der Panik erinnert er sich an einen Ratschlag, den er kürzlich von einem französischen Flieger bekommen hat. Wenn eine größere, zweisitzige Maschine von einer kleineren, einsitzigen angegriffen wird, kann man nur eins tun: die ganze Zeit schwingen, vor und zurück! Es geht darum, dem Jäger so wenig Chancen wie möglich zu bieten, einen Treffer zu landen.
    Und das tut Coppens: Er schwingt, pendelt, schaukelt, krängt, flattert. Die Flieger bewegen sich die ganze Zeit spiralförmig abwärts. Ihre Maschine ist selten mehr als eine Sekunde in der Waagerechten. Coppens selbst sieht seine Feinde kaum, erkennt nur dann und wann eine Maschine mit aufgemalten großen, schwarzen Kreuzen, die zu ihnen hinabstößt oder in eine neue Angriffsposition aufsteigt. Er kann sie jedoch hören, und er hört auch, wie sein Bordschütze in regelmäßigen Abständen sein Maschinengewehr auf die Angreifer

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