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Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Titel: Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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Gebirgspass bei Luzuna
     
    Vorwärts und zurück und wieder vor. Zuerst die hektischen Vormärsche der ersten Kriegsmonate in Galizien, den einfallenden Russen entgegen, mit all den blutigen Gefechten, die damit verbunden waren («die Schlacht bei Lemberg»), dann der Rückzug in wirren Sprüngen von Fluss zu Fluss, bis man plötzlich an den Karpaten und an der Grenze zu Ungarn stand – schrecklich. Dann Pause, Schweigen, nichts. Danach der Befehl zu neuem Vorrücken, aus den Gebirgspässen der Karpaten heraus, hinunter zu den Ebenen im Nordosten und dem belagerten Przemyxl. Die Verluste sind enorm.  18
    Der Winter kommt ungewöhnlich früh. Er beginnt mit tüchtigem Schneefall, der plötzlich alle Wege unpassierbar macht, weshalb es den österreichisch-ungarischen Verbänden unmöglich ist, vorzurücken oder auch zurückzuweichen. Pál Kelemens Division ist in einem dieser vereisten Bergpässe gefangen. Rings um die Pferde türmt sich der nasse Schnee zu hohen Wehen auf. Frierende Soldaten hocken an kleinen Feuern oder gehen umher und schlagen sich die Arme um den Leib. «Niemand spricht.»
    Pál Kelemen schreibt in sein Tagebuch:
     
Es gibt nur ein einziges heiles Gebäude in dem Gebirgspass, ein kleines Wirtshaus, das an der Grenze [zwischen Galizien und Ungarn] steht. Im ersten Raum hat man einen Feldtelegraphen installiert; im zweiten haben sich die Stabsoffiziere des Kavalleriekorps einquartiert. Ich komme um elf Uhr abends an und schicke eine Mitteilung ans Hauptquartier, in der ich erkläre, dass zurzeit kein Weiterkommen ist. Dann lege ich mich in einer Ecke auf eine Matratze und schlüpfe unter meine Wolldecke.
Der Wind heult durch das baufällige Dach und lässt die Fensterscheiben klappern. Draußen ist es pechschwarz. Hier drinnen kommt das einzige Licht von der flackernden Flamme einer einsamen Kerze. Der Telegraph arbeitet pausenlos, gibt die Befehle vor dem morgigen Angriff weiter. Im Flur und auf dem Dachboden liegen reihenweise Leute, die mit ihrer Truppe nicht Schritt halten konnten – es sind die Schwachen, die Kranken, die Leichtverwundeten, die morgen den Rückweg antreten werden.
Ich bin halb wach, erschöpft, einige Offiziere liegen auf kleinen Strohhaufen um mich herum. Die frierenden und zitternden Männer in der Umgebung des Hauses haben mit Hilfe von Brettern aus dem angrenzenden Stall Feuer gemacht, und die Flammen, die ins nächtliche Dunkel züngeln, locken noch mehr verirrte Soldaten an.
Ein Sergeant kommt herein und bittet um die Erlaubnis, einen seiner Kameraden in die Wärme zu holen: Der Betreffende ist kaum bei Bewusstsein und würde in der Kälte draußen sicher sterben. Sie legen ihn neben die Tür auf Stroh, zusammengekauert, das Weiße der Augen teilweise sichtbar, der Nacken tief zwischen die Schultern gezogen. Sein Mantel ist an mehreren Stellen von Kugeln durchlöchert, und der Saum ist auf irgendeinem Lagerplatz vom Feuer angesengt worden. Seine Hände sind steif vor Kälte, und sein ausgezehrtes, gequältes Gesicht ist bedeckt von einem struppigen, ungepflegten Bart.
Der Schlaf übermannt mich. Die «Titi-tata»-Signale des Telegraphen werden zu einem fernen Rauschen.
Im Morgengrauen werde ich vom Lärm der Männer geweckt, die sich bereitmachen, um weiterzumarschieren, verwirrt und betäubt sehe ich mich in diesem elenden Nachtquartier um. Durch die mit Eisblumen bedeckten niedrigen Fenster dringt graubleiches Tageslicht und erfüllt jeden Winkel des Raums. Nur der Soldat, der gestern Abend hereingetragen wurde, liegt noch da, das Gesicht nach unten, zur Wand gerichtet.
Die Tür zum hinteren Raum wird geöffnet, und einer der Adjutanten, Fürst Schönau-Gratzfeld, tritt herein, frisch rasiert, in Pyjamas, und bläst Rauch aus einem länglichen türkischen Chibouk in die verbrauchte, säuerliche Luft.
Er bemerkt den Soldaten, der reglos in seiner Ecke liegt, geht zu ihm, weicht aber erschrocken zurück. Indigniert gibt er den Befehl, die Leiche des Mannes, der offenbar an der Cholera gestorben ist, sofort zu entfernen. Dann zieht er sich mit empörter Miene zurück in den hinteren Raum. Zwei Soldaten schleppen eine Reisebadewanne aus Gummi hinter ihm her, die mit einem Adelswappen geschmückt und mit warmem Wasser gefüllt ist.
***
    Am gleichen Abend zieht Herbert Sulzbach mit seiner Batterie ins brennende Lille ein. Ein Militärorchester spielt Die Wacht am Rhein . Er notiert im Tagebuch:
     
Das Erlebnis des Einzuges und dieses ersten selbsterfochtenen Sieges

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