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Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Titel: Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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Unterfangen.

154.
    Samstag, 21. Juli 1917
    Alfred Pollard wird im Buckingham-Palast mit dem Victoriakreuz ausgezeichnet
     
    Vierundzwanzig Victoriakreuze sollen verliehen werden, doch auf dem abgesperrten Gelände am Buckingham-Palast sind nur achtzehn Männer in einer Reihe angetreten. Die übrigen sechs Kreuze werden posthum verliehen. An der Seite stehen einige Personen in Zivil – die nächsten Angehörigen der Gefallenen, die die Orden entgegennehmen sollen. Ein Musikkorps spielt, eine Ehrenwache mit Fahnen ist angetreten. Hinter dem hohen, vergoldeten Zaun, der den Palast umgibt, sind zahlreiche Zuschauer zu sehen.
    Als die Nachricht eintraf, dass Pollard das Victoriakreuz verliehen würde, fingen die Leute an, ihn zu feiern, doch das war nichts im Vergleich zu dem, was ihn erwartete, als er zusammen mit einem anderen Victoriakreuzträger zu einem einmonatigen Heimaturlaub nach Hause fuhr. Seitdem ist sein Leben eine endlose Folge von Festen, Theaterbesuchen und feierlichen Abendessen gewesen, von Hurrarufen und ständigem Rückenklopfen. Er ist manchmal verlegen, aber immer auch angenehm berührt. Wenn die beiden für ihre Drinks zahlen wollen, ist immer jemand da, der darauf besteht, sie einzuladen. Wenn sie in einem feinen Restaurant auftauchen, werden sie bevorzugt behandelt und bekommen den besten freien Tisch zugewiesen. Pollard ist berühmt. Sein Bild ist in den Zeitungen zu sehen.
    Außerdem ist Pollard mittlerweile verlobt. Mit Mary Ainsley, der Frau, die ihn zuvor so entschieden abgewiesen hat. Damals hatte er den Verdacht, es habe daran gelegen, dass er nur ein unbekannter, einfacher Soldat war, aber jetzt ! Jetzt ist er Offizier und hat die höchste und prestigeträchtigste Auszeichnung erhalten, die das britische Empire zu vergeben hat. Der Krieg hat ihm ein neues Selbstvertrauen geschenkt, und eines späten Abends umarmte er sie, überschüttete sie mit «unverständlichen Worten», wie sehr er sie liebe, sie begehre und so weiter. Am nächsten Morgen, auf einem Spaziergang, erklärte Mary, dass sie seine Gefühle nicht erwidern könne, ihn aber nicht enttäuschen wolle, da er sie so sehr liebe, und dass Liebe etwas sei, was sich entwickeln könne. Der Verlobungsring ist aus Platin, mit eingefassten Diamanten und einer schwarzen Perle. Die letzten Tage haben sie gemeinsam mit Bekannten in einem Hotel an der Küste verbracht, haben gebadet, Bootstouren und Spaziergänge unternommen, Konzerte besucht, hervorragende Diners genossen und ihren ersten Streit gehabt.
    Jetzt steht er gemeinsam mit siebzehn anderen Männern vor dem Buckingham-Palast und wartet. An ihrer Uniformbrust ist jeweils ein spezieller Haken angebracht, der es dem König erleichtern soll, ihnen den Orden anzuhängen. Dann beginnt die Zeremonie. Hacken werden zusammengeschlagen, Gewehre geschultert. Das Musikkorps bricht sein Stück ab und spielt stattdessen «God Save the King». Die Fahnen der Ehrenwache werden gesenkt. Der König erscheint. Der König! Er ist von einem Schwarm Adjutanten umgeben. Die Achtzehn stehen stramm. Die Musik klingt aus. «Rührt euch!»
    Einer nach dem anderen wird nach vorn gerufen. Pollard ist als Sechster an der Reihe. Er geht wie die anderen zehn Schritte und nimmt vor dem Monarchen Haltung an. Ein Oberst liest die offizielle Begründung vor, die mit den Worten beginnt: «Für außergewöhnlichen Mut und Entschlossenheit.» Als die letzten Worte vorgelesen sind – «indem er jede mögliche Gefahr ignorierte, erfüllte er alle, die ihn sahen, mit Mut» – heftet der König den Orden mit der purpurroten Spange an seine Brust und spricht ein paar lobende Worte. Danach drückt der Monarch die Hand des Victoriakreuzträgers, fest, so fest, dass eine Wunde, die Pollard sich bei seinem Badeurlaub zugezogen hat, wieder aufreißt. Der frisch dekorierte Fünfundzwanzigjährige tritt einen Schritt zurück, salutiert.
    Dies ist der Höhepunkt seiner Kriegszeit, ja, der Höhepunkt seines Lebens.
    Der Versicherungsangestellte aus London, zu einem Leben in Bedeutungslosigkeit und Langeweile verdammt, hat damit alles erreicht, wovon er je geträumt hat, ist der geworden, für den er sich schon lange gehalten hat. Und der Krieg hat es möglich gemacht.
    Nach der Zeremonie erwartet sie ein reichhaltiges Festprogramm. Morgen kehrt er auf den Kontinent zurück. Es kursiert das Gerücht, dass irgendwo in Flandern eine große britische Offensive vorbereitet wird. Ein neues, ungewohntes Gefühl steigt in ihm auf. Zum

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