Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Titel: Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
Vom Netzwerk:
allerersten Mal brennt er nicht vor Ungeduld, sich in den Kampf zu stürzen.
***
    Am selben Tag fliegt Willy Coppens zum ersten Mal einen Kampfeinsatz in einem einsitzigen Flugzeug:
     
Über Schoore stieß ich auf eine zweisitzige Maschine, die in einer Höhe von etwa 3200 Metern kreiste. Ich griff sie entschlossen an, aber ohne die geringste Wirkung. Die Männer in der zweisitzigen Maschine schossen zurück, aber auch sie hatten keinen Erfolg. Mein Flugzeug wies nicht die kleinste Spur eines Treffers auf. In 500 Metern Höhe ließ ich von meiner Beute ab, sie verschwand, und ich verfluchte meine Ungeschicklichkeit.

155.
    Ein Tag im Juli 1917
    Paolo Monelli wird Zeuge der Erschießung zweier Deserteure
     
    Morgengrauen. Die ganze Kompanie steht auf einer kleinen Waldlichtung und wartet. Auch das Erschießungskommando ist schon angetreten. Und der Arzt. Und der Priester, der aus Furcht vor dem, was passieren wird, zittert. Dann erscheint einer der beiden Gefangenen.
     
Dort also der erste Verurteilte. Ein Weinen ohne Tränen, ein Röcheln aus der zugeschnürten Kehle. Nicht ein Wort. Augen, die nichts mehr ausdrücken. Im Gesicht sieht man nur die apathische Angst eines Tiers, das geschlachtet werden soll. Man führt ihn zu einer Fichte, er kann nicht mehr stehen und bricht zusammen. Man muss ihn mit einem Telefonkabel an den Stamm binden. Der Priester, leichenblass, umarmt ihn. In der Zwischenzeit stellt sich der Zug in zwei Reihen auf. Die erste Reihe soll schießen. Der Regimentsadjutant hat gerufen: «Ich mache ein Handzeichen – dann Feuer.»
     
    Die beiden Soldaten gehören Monellis Verband an. Während der schweren Kämpfe auf dem Ortigara waren sie eines Tages ins Tal geschickt worden, um dort Hand anzulegen. Doch nach drei Tagen in der vordersten Linie hatten sie genug und kamen nicht zurück. Ein Militärgericht in Enego verurteilte sie wegen Fahnenflucht zum Tode. Die Disziplin in der italienischen Armee ist eisern, fast drakonisch.  21 Nach dem Urteilsspruch wurden sie zu ihrem Verband zurückgebracht, der die Hinrichtung durchzuführen hat (vor aller Augen, zur Abschreckung und Warnung). Sie wurden von zwei Militärpolizisten eskortiert, die es nicht übers Herz brachten, ihnen zu sagen, was sie erwartete. Man sperrte sie in eine kleine Hütte, und die beiden weinten, flehten, versuchten noch zu handeln: «Wir versprechen, jede Nacht auf Patrouille zu gehen, Herr Leutnant!» Alles vergeblich. Am Schluss hörte man sie nur noch weinen. Beide sind erfahrene Soldaten und seit Kriegsbeginn dabei gewesen. Alle Armeen werden durch eine Mischung aus äußerem Zwang und innerer Zustimmung (spontan oder arrangiert) zusammengehalten, ja, dieser ganze Krieg war nur deshalb möglich, weil beide Faktoren zusammenwirkten. Je mehr die Zustimmung abnimmt, desto mehr wird der Zwang verschärft. Doch nur bis zu einem gewissen Grad. Wenn nichts mehr bleibt als Zwang, bleibt am Ende gar nichts mehr übrig – alles bricht zusammen.
    Der Adjutant hebt die Hand, gibt sein stummes Zeichen.
    Nichts passiert.
    Die Soldaten blicken erst zum Adjutanten, dann zum Festgebundenen mit der Augenbinde. Die Soldaten des Erschießungskommandos sind zum Teil seine Waffenbrüder, seine Kameraden, «vielleicht sogar seine Verwandten».
    Ein neues Zeichen.
    Nichts passiert.
    Der Adjutant schlägt nervös die Hände zusammen. Es ist, als bedürfe es eines Geräuschs, um die Soldaten davon zu überzeugen, dass sie jetzt schießen müssen.
    Eine Salve kracht.
    Der zum Tode Verurteilte fällt nach vorn, wird aber von dem Kabel festgehalten, mit dem er an den Baum gebunden ist, und rutscht am Baumstamm nach unten. Mit dieser kurzen Bewegung ist er vom Menschen zum Körper geworden, vom Subjekt zum Objekt, vom Lebewesen zum Ding, von einem «Er» zu einem «Es». Der Arzt tritt vor, und nach einer kurzen Untersuchung erklärt er den Mann für tot. Niemand muss daran zweifeln, dass der Tod eingetreten ist. Monelli sieht, dass der halbe Kopf weggeschossen wurde.
    Dann wird der zweite Verurteilte hergebracht.
    Im Gegensatz zu seinem Kameraden ist er ganz ruhig und hat beinahe ein Lächeln auf den Lippen. In einem seltsamen, fast ekstatischen Ton ruft er den Männern des Erschießungskommandos zu: «Dies hier ist gerecht. Zielt nur ordentlich – und tut nicht das, was ich getan habe!» Im Erschießungskommando bricht Verwirrung aus. Einige wollen nicht mehr schießen, sagen, dass sie schon geschossen haben. Wortwechsel. Der Adjutant flucht und

Weitere Kostenlose Bücher