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Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Titel: Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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im April erinnern. Die Fahrzeuge sind mit Kreide vollgeschmiert. Obwohl sie nur noch leere und rostige Hüllen sind, findet Sulzbach sie doch erschreckend. Einen Panzer hat er mit seiner kleinen Kamera fotografiert.
    Sie haben Stahlhelme bekommen – das ist von Vorteil, denn die feindliche Artillerie sorgt nicht selten zwischen den Schützengräben und den vorderen Stellungen der Feldartillerie für gefährlichen Beschuss.
    Er hat häufig Nachtdienst. Das ist ihm recht, denn dann ist es am ruhigsten. Man hört nur vereinzelte Detonationen, vielleicht das Brummen der Flugzeuge am sternenklaren Himmel über ihm. Gleichzeitig herrscht dieser Kontrast: Auch wenn die mondbeschienene Landschaft, auf die er blickt, völlig öde zu sein scheint, weiß er, dass sich dort Tausende Kanonen, Hunderttausende Soldaten verbergen, und er kann in Momenten wie diesen nicht mehr verstehen, was für einen Sinn dies alles haben soll. Er schreibt in sein Tagebuch:
     
Jetzt bin ich also schon mehr als drei Jahre im Feld, und manchmal ist mein Bedarf an Krieg doch schon gedeckt. Mit zwanzig Jahren beginnt ja eigentlich für einen jungen Mann erst das Leben, und für uns begann in diesem Alter der Krieg, und er hat uns zu anderen Menschen gemacht, denen es manchmal so zumute ist, als ob sie nie mehr werden lachen können.

161.
    Dienstag, 4. September 1917
    Edward Mousley ist mit dem Pferdekarren unterwegs nach Ankara
     
    Das Frühstück ist ausgezeichnet: Würstchen, Kuchen, Tee und Marmelade – Mousley hat gerade ein Paket von zu Hause bekommen. Die Männer, die sie bewachen, essen Brot, Oliven, Melonen und Zwiebeln. Dann brechen sie von dem kleinen Wirtshaus, das bedauerlicherweise voller Wanzen ist, auf. Anfangs können er und der andere Gefangene – ein Brite mit einem stark entzündeten gebrochenen Arm – auf dem von Pferden gezogenen Wagen fahren, doch als der Weg zum Berg hinaufführt, steigen sie ab und gehen zu Fuß nebenher. Die Zugtiere sind einfach zu schwach. Der Berghang ist mit hohen Kiefern bewachsen. Sie sind von einer großen Schar berittener Gendarmen umgeben, deren Aufgabe es ist, einerseits ihre Flucht zu verhindern, andererseits sie vor Überfällen durch Banditen zu schützen. Sie passieren einen Wasserfall.
    Mousley hatte tatsächlich fliehen wollen, und im Sommer bereitete er mit anderen Gefangenen über Monate hinweg eine Flucht aus Kastamonu vor. Der Plan sah vor, auf einem Gebirgspfad zum Schwarzen Meer zu gelangen, wo ein kleines Boot im Sand vergraben sein sollte, ohne Segel, nur mit Rudern. Mousley unternahm sogar – als Türke verkleidet – mehrere Probefluchten, um herauszufinden, wie sie die Wachen am besten täuschen könnten. Bei einem dieser Versuche wurde er beinahe geschnappt, danach stand er unter strenger Beobachtung. Ein Teil der Gruppe floh dennoch, wurde aber (wahrscheinlich) wieder eingefangen, nachdem sie (möglicherweise) verraten oder (wahrscheinlicher) bei einem unbeholfenen Versuch erwischt wurden, sich als Deutsche auszugeben.
    Jetzt hat Mousley trotzdem Kastamonu verlassen. Er leidet noch immer an den Folgen der Zeit in Kut al-Amara. Das Schlimmste ist eine Quetschwunde am Rücken durch einen Granatsplitter. Einige Wirbel sind beschädigt, und die Schmerzen rauben ihm nicht selten den Schlaf. Und doch sind seine Augen der Grund für die Reise nach Ankara – er will sich dort von Spezialisten behandeln lassen. Der ganze Staub und Dreck, der ihm bei der Detonation in die Augen flog, hat eine Dauerentzündung hervorgerufen, die bisher nur unangenehm ist, aber sehr gefährlich werden kann. Es hatten ihn Briefe von Bekannten im Außenministerium erreicht, und es ist ihm gelungen, den erschrockenen Kommandanten glauben zu lassen, sein Fall werde von London aus sehr genau beobachtet. Der türkische Offizier hatte daraufhin seine Verlegung nach Ankara angeordnet. Mousley selbst besteht darauf, in Konstantinopel behandelt zu werden. Er glaubt, dass es von dort viel einfacher sein wird zu fliehen.
    Der Anstieg nimmt den größten Teil des Vormittags in Anspruch. Gegen drei Uhr erreichen sie den Pass. Der Gipfel des Berges ist direkt vor ihnen, in Nebel gehüllt. Hier machen sie eine längere Rast und essen zu Mittag. Danach geht es abwärts. Ali, der Offizier, der ihren kleinen Transport befehligt, ist Mousley recht unsympathisch. Ali ist cholerisch, machtbesessen, aggressiv und feige, aber sie versuchen, ihn bei guter Laune zu halten, indem sie ihm ein ums andere Mal Zigaretten anbieten.

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