Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)
gegenwärtigen Kriegslage seien Infanteriebataillone gebildet worden, die ausschließlich aus Frauen bestehen.
Sie weiß schon seit einiger Zeit, dass es Soldatinnen in der russischen Armee gibt. Sie ist sogar einigen begegnet, es waren Verwundete. Besonders erinnert sie sich an eine Frau, die sie in Galizien versorgt hat, eine Zwanzigjährige mit einer hässlichen Wunde an der Schläfe, die von einem Streifschuss herrührte. Die Frau wollte sofort an die Front zurück. Die neuen, ausschließlich weiblichen Bataillone sind auf Initiative von Maria Basjkarova gebildet worden, einer sibirischen Soldatin von einfacher Herkunft, die anfangs an der Seite ihres Ehemanns kämpfte und, als dieser fiel, in der Armee blieb. Sie ist mehrmals verwundet und ausgezeichnet worden und zur Sergeantin aufgestiegen. In der Zeitung wurden ihre Worte zitiert: «Wenn sich die Männer weigern, für ihr Land zu kämpfen, werden wir ihnen zeigen, was Frauen können!» Ein nur aus Frauen bestehendes Bataillon ist bereits im Kampf eingesetzt worden, während der gescheiterten «Freiheitsoffensive», wo es eine Stellung halten sollte, die von Deserteuren verlassen worden war. Für Florence und die anderen Krankenschwestern sind dies fantastische Nachrichten.
Der Abend ist warm. Am sternklaren Himmel schwebt ein großer, heller Mond.
158.
Freitag, 17. August 1917
Olive King fährt durch das brennende Saloniki
Schon am Nachmittag hat sie erkennen können, dass in der Stadt ein großes Feuer ausgebrochen ist, und sie will es sich jetzt aus der Nähe ansehen. Deshalb nutzt sie sofort die Gelegenheit, als nach Wagen gerufen wird, die helfen sollen, die in der serbischen Intendantur lagernden Vorräte zu retten. Doch erst als sie mit ihrem Wagen an der Venizelosstraße vorüberfährt, wird ihr der Ernst der Lage bewusst. Was als fahrlässig verschuldeter Brand begann, hat sich schnell zu einer Feuersbrunst entwickelt. Der gesamte türkische Stadtteil scheint in Flammen zu stehen:
Es ist unmöglich, das Chaos zu beschreiben, das auf den Straßen herrschte, das Gewimmel von Menschen, die in Panik ihre Habseligkeiten auf Ochsenkarren oder auf dem eigenen Rücken fortzuschaffen versuchten, in kleinen offenen Pferdewagen oder in diesen langen, schmalen, gebrechlichen griechischen Karren, die das Fahren hier so erschweren. Die Flammen prasselten unaufhörlich, jeden Augenblick hörte man ein großes Krachen und Millionen Funken flogen, wenn ein Gebäude [einstürzte]. Ein heißer Wind blies vom Vardarfluss herüber, und fast die ganze Zeit regnete es Funken und brennende Trümmerteile auf uns herab. Es war noch nicht dunkel, aber alles war von einer sonderbar goldenen Röte wie von einem wunderschön leuchtenden Sonnenuntergang.
Vor der Katastrophe war Saloniki eine erstaunliche, pittoreske und zum Teil sehr schöne Stadt, in der die Jahrhunderte der osmanischen Herrschaft deutliche Spuren hinterlassen hatten. Es gab eine Reihe von Minaretten, eine mächtige Ringmauer und einen sehr geschäftigen Basar. Wer durch das Labyrinth schmaler Straßen und mittelalterlicher Gassen spazierte, konnte sich zwar einreden, dass dies streng geographisch Europa war, musste aber zugleich feststellen, dass die Stadt orientalisch aussah, roch und klang. (Bis vor knapp fünf Jahren hatte die Stadt noch unter osmanischer Herrschaft gestanden.) Die Feststellung, dass die Stadt orientalisch geprägt war, unterstrich eher noch ihren Reiz und war keineswegs als Vorwurf gemeint. Die Jahre der westlichen Besatzung und der damit einhergehende Strom von Truppen aus nahezu allen Erdteilen verstärkte indes die markanten Kontraste und den kosmopolitischen Geist der Stadt. Hier gab es muslimische Moscheen, byzantinische Kathedralen und griechisch-orthodoxe Kirchen neben Straßenbahnen und Kinos, Varietés und Bars, teuren Geschäften, feinen Restaurants und erstklassigen Hotels. Für manche war Saloniki nicht nur ein Babel der Sprachverwirrung – King und viele ihrer Freunde sprechen ein einzigartiges Pidgin, das auf dem Englischen basiert, daneben aber auch Anteile des Französischen und Serbischen aufweist –, sondern vielmehr ein Babel der Sünde.
Wenn dies aber ihr wahrer Charakter war, scheint sie jetzt ihre verdiente Strafe zu ereilen. Der starke Wind verbreitet das Feuer mit unerwarteter Geschwindigkeit.
King fährt mehrere Touren durch das Flammenmeer, rettet Bedarfsgüter oder persönliche Gegenstände der Betroffenen. Wenn sie anhält, muss sie
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