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Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Titel: Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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im Osten stehe Bulgarien vielleicht kurz vor der Kapitulation.
    Selten ist Sulzbach mit solcher Freude empfangen worden – es ist, als hätten sein Vater und seine Mutter keine Hoffnung mehr gehabt, ihren Sohn jemals wiederzusehen.
    Nach den harten Kämpfen und den Misserfolgen der letzten Monate ist Sulzbach müde, ausgelaugt und nervös. Es fällt ihm schwer, die Unzufriedenheit der Menschen in der Heimat zu tolerieren. Die Soldaten halten durch, sollten die Zivilisten es dann nicht auch tun? Er ist verbittert über all die Defätisten und Querulanten. Doch er weiß: Die Jahre an der Front haben ihn so sehr geprägt, dass er die Welt nur noch mit den Augen eines Soldaten wahrnimmt.
    Sulzbach hat Kurts Mutter besucht, sie hat ihm das letzte Foto seines Freundes geschenkt. Und er hat Kurts Grab besucht.
    An diesem Tag begegnet er auf der Straße einem jungen Mann in Uniform, der ihn nicht vorschriftsmäßig grüßt. Sulzbach, der das Eiserne Kreuz erster Klasse trägt, kann einen so krassen Verstoß gegen die Disziplin nicht hinnehmen. Er, sonst so gesellig und heiter, hält dem jungen Mann eine kräftige Standpauke. «Wenn diese dummen Jungen hier zu Hause offensichtlich Disziplinlosigkeit an den Tag legen, dann muss man einschreiten! Warum klappt denn vorn alles, und warum passiert einem hier zu Hause so etwas?»
    Später werfen französische Flugzeuge erneut Bomben über der Stadt ab.

214.
    Montag, 14. Oktober 1918
    Willy Coppens wird über Thourout verwundet
     
    Hätte Coppens gewusst, dass er die Patrouille im Morgengrauen mitfliegen sollte, wäre er natürlich früher ins Bett gegangen. Es war Mitternacht gewesen, als er mit dem Motorrad zurückkehrte (alles war schon still und dunkel), im Schein eines Streichholzes den Tagesbefehl las und begriff, dass er viel zu früh aufstehen musste.
    Jetzt ist es fünf Uhr, und er hat vielleicht vier Stunden geschlafen. Coppens weiß, warum sie so früh hoch müssen. An diesem Morgen soll auch die belgische Armee in die Offensive gehen und damit den Druck auf die schon hart bedrängte deutsche Armee erhöhen. Die Entscheidung kann nicht mehr lange auf sich warten lassen.
    Doch das Wetter ist neblig und wolkenverhangen. Die Maschinen sind aus ihren Hangars mit grüner Persenning herausgerollt worden, im Dunkeln aber kaum zu erkennen. Es ist nicht flughell. Noch nicht. Sie warten.
    Um 5.30 Uhr eröffnen drüben im Osten die Kanonen das Feuer, dessen Blitze mit dem dünnen roten Schleier des Sonnenaufgangs verschmelzen. Coppens hat in diesem Frontabschnitt noch nie so intensives Artilleriefeuer gehört. Er wendet sich seinem Nebenmann zu und sagt: «Ist dies das Ende des Krieges?»
    Um 5.35 Uhr kommt einer der Stabsoffiziere mit einem Notruf aus den vordersten Linien: Zerstört den Beobachtungsballon bei Thourout! Die belgische Artillerie liegt unter präzisem Gegenfeuer, und bestimmt sitzt der deutsche Feuerleitsoldat in der saucisse , der Wurst (die übliche Bezeichnung für diese Luftfahrzeuge), die ein Stück entfernt hinter den feindlichen Linien schwebt. Solche Ballons, die mit Stahlseilen am Boden verankert und mit Körben versehen sind, in denen ein oder zwei Beobachter sitzen und ihre Beobachtungen per Telefon an die Truppen am Boden durchgeben, werden von allen Armeen eingesetzt. Für die Infanterie sind sie ein verhasster Anblick, für die Flieger ein dankbares, wenn auch gefährliches Ziel. Die «Würste» sind durch zahlreiche Luftabwehrbatterien geschützt, außerdem ist es schwerer als man glaubt, den mit Wasserstoff gefüllten Sack in Brand zu schießen; es erfordert Mut und eine besondere Art von Geschossen, entweder in Form von Feuermunition oder von Raketen.  28 In keinem Einzelgefecht ist der Ausgang von vornherein gewiss.
    Um 5.40 Uhr hebt Coppens in seiner hellblauen Hanriot ab. Sein Rottenkamerad ist ein neuer Pilot, Etienne Hage. Die Wolkendecke liegt kompakt in einer Höhe von neunhundert Metern. Coppens und Hage legen sich dicht darunter, auf rund achthundert Metern. Die Sonne ist aufgegangen, vermag den grauen Oktoberdunst kaum zu durchdringen. Im Halbdunkel fliegen die beiden Piloten zur Front.
    Als sie sich den Schützengrabenlinien nähern, sieht Coppens, dass es sich nicht nur um einen Ballon handelt, sondern um zwei. Einer schwebt tatsächlich über Thourout, in ungefähr fünfhundert Metern Höhe. Gleichzeitig steigt ein anderer über Praet-Bosch auf. Er ist schon mehr als sechshundert Meter hoch und steigt weiter.  29 Coppens weiß

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