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Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Titel: Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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seiner Hanriot-Maschine abzeichnen); und vor einer guten Woche hätte eine deutsche Maschine, die sich von hinten herangemacht hatte, ihn beinahe abgeschossen.
    Dennoch ist Coppens in einer etwas sonderbaren Gemütsverfassung. Am Morgen des 10. August schoss er im Laufe von anderthalb Stunden drei Ballons ab. «Solange ich flog», schreibt er,
     
waren ein solcher Erfolg und das Gefühl, der Gefahr entgangen zu sein, erregend, doch sobald ich gelandet war und zurück in der Gemeinschaft des Geschwaders, verlor dieser Kampf, der mich eben noch mit solcher Spannung erfüllt hatte, viel von seiner Bedeutung. Die Freude erstarb, und der Überdruss trat an ihre Stelle.
     
    Wenn sie nicht fliegen, ist ihr Leben von jugendlicher Unrast geprägt. Er und die anderen Piloten vergnügen sich ständig, feiern, gehen in Restaurants und Theater, spielen Tennis auf dem Platz neben dem Flugfeld, den sie selbst angelegt haben, und spielen einander endlos Streiche, practical jokes : Zuletzt haben sie bei einem anderen Geschwader angerufen und dem Mann am Telefon weisgemacht, der König käme zu Besuch.
    An diesem Tag liegt Coppens mit einer Erkältung im Bett. Das ist ungewöhnlich, denn die viele Zeit, die sie im Freien und in großer Höhe verbringen, scheint sie ansonsten gegen Banalitäten solcher Art zu schützen. Er liest einen Brief von seinem Vater, der immer noch im besetzten Brüssel wohnt. Coppens schreibt:
     
Der Brief war in der üblichen phantasiereichen Sprache geschrieben, die wir zu diesem Zweck verwenden, aber zwischen den Zeilen las ich, dass er von meinen letzten Erfolgen gegen unsere Feinde gehört hatte. In einem Satz ermahnte er mich zur Vorsicht und ich ahnte seine Angst davor, ich könnte mein Glück allzu sehr strapazieren und erleben, dass es sich gegen mich wandte. War das nicht eine ganz natürliche und sogar prophetische Befürchtung?

212.
    Dienstag, 10. September 1918
    Elfriede Kuhr liest einen Brief ihrer Mutter
     
    Der Herbst ist gekommen. Die meisten Straßenlaternen sind wegen Gasmangels gelöscht. Kartoffeln gibt es nicht mehr. Elfriedes Großmutter ist an Grippe erkrankt und liegt die meiste Zeit auf dem Sofa. Dem Bruder einer Nachbarsfrau wurde gerade ein Bein amputiert. Elfriedes Bruder ist zum Dienst in einer Schreibstube abgestellt worden. Und Elfriede selbst hat ihren erfundenen Leutnant von Yellenic sterben lassen, sie fühlt sich zu alt für solche Spiele. (Mit Gretel hat sie eine richtige Beerdigung abgehalten: Der Leutnant lag auf dem lit de parade , geschmückt mit einem Eisernen Kreuz aus Pappe. Die Zeremonie wurde von den Klängen des Trauermarsches von Chopin begleitet, und abschließend gab es einen Salut mittels dreier aufgeblasener Papiertüten, die Elfriede platzen ließ. Gretel weinte und war untröstlich.)
    An diesem Tag bekommen Elfriede und ihr Bruder einen Brief von ihrer Mutter:
     
Kinder, dieser Herbst bringt mich noch um. Es regnet, es gießt, es ist kalt. Und denkt Euch, ich habe meine Kohlenkarte verloren. Ich muss mich morgen sofort mit dem Kohlenhändler in Verbindung setzen; zum Glück ist mir der Mann ergeben und wird mich nicht im Stich lassen. Die geisttötende Arbeit im Amt fängt an, meine Kraft zu erlahmen. Ich sehne mich nach Freiheit und Musik. Aber wer denkt noch an ein Musikstudium? Wenn nicht das treue Fräulein Lapp zu den Abendstunden käme, schliefe das Klavier ganz ein. Es schaudert mich vor der Leere des Unterrichtszimmers. In Berlin schreit alles nach Frieden. Aber was für ein Friede wird das sein? Können wir ihn ehrlich herbeisehnen? Wir verlieren alles, ohne besiegt zu sein. Unsere braven Soldaten! Gilchen, Pietelchen, haltet den Daumen für das arme Deutschland! Es darf nicht sein, dass so viel Blut umsonst vergossen wurde!

213.
    Mittwoch, 25. September 1918
    Herbert Sulzbach schimpft in Frankfurt am Main einen Soldaten aus
     
    Wieder einmal zu Hause auf Heimaturlaub. Es hat sich etwas verändert. Sulzbach findet seine Heimatstadt düster.
    Auch ganz im Wortsinne. In Frankfurt am Main strahlen keine Lichter mehr, um den französischen Fliegern nicht den Weg zu weisen: Die Stadt hat schon mehrere Bombenangriffe erlebt. (Bei einem Angriff vor etwa einem Monat wurden siebzehn Menschen getötet.) Aber auch die Stimmung ist düster. Er hat es schon spüren können, als er zu Jahresbeginn hier war. Streiks, Nahrungsmittelknappheit, Sorge darum, wie es weitergehen soll. Die Nachrichten von der Westfront sind anhaltend schlecht. Und es heißt,

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