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Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Titel: Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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er gerade fünfundzwanzig Jahre alt geworden war. Aus der Dunkelheit tauchte ein Major auf und erklärte, dass er Arnaud ablösen solle, der auf einen anderen Posten hinter der Front versetzt wurde. Arnaud berichtet:
     
Ich begriff auf einmal, dass der Krieg für mich zu Ende war, ich war davongekommen, ich war plötzlich frei von der grausamen Angst, die mich dreieinhalb Jahre lang bedrückt hatte, ich würde nicht mehr von dem Gespenst des Todes gejagt werden, das mich verfolgt hatte, wie es alte Männer verfolgt.
     
    Und er weist seinen Nachfolger ein, ausnahmsweise einmal, ohne sich um das Maschinengewehrfeuer und die explodierenden Granaten zu kümmern, denn «ich frohlockte und mir war leicht ums Herz, und es kam mir vor, als wäre ich unverwundbar».
    Rafael de Nogales befand sich auf einem Dampfer auf dem Weg zum Bosporus. Überall sah er feindliche Flaggen: italienische, französische, britische. Er glaubte zu wissen, dass die meisten davon über Häusern wehten, die «Armeniern, Griechen und Levantinern gehörten».  43 Am Abend besuchte er ein Fest, das griechische Frauen veranstalteten, um den Waffenstillstand zu feiern. Gerüchte machten die Runde. Einige führende Jungtürken seien in einem deutschen Torpedoboot aus der Stadt geflohen. In Anatolien werde eine Militärrevolte vorbereitet, aus Protest «gegen das Eingreifen [der Siegermächte] in die inneren Angelegenheiten der Türkei», und, so fügt de Nogales hinzu, diese Eingriffe werden «weiterhin ernstliche bewaffnete Konflikte zur Folge haben, solange die Alliierten auf ihrer Aufteilung von Syrien, Palästina, Arabien und Mesopotamien in Mandate und Protektorate beharren». Eine Woche später ging er ins Kriegsministerium und ersuchte um seine Entlassung. Diesmal wurde sie bewilligt, ohne Vorbehalte.
    Harvey Cushing lag noch immer im Krankenhaus von Priez. An diesem Tag kam sein Bursche mit dem Rasierspiegel und einer Nagelbürste herein und nahm Cushings Uniformjacke mit, um neue Dienstgradabzeichen anzunähen. Cushing wurde nämlich genau an diesem Tag zum Obersten befördert. Eine Zeitlang hatte er mit wachsendem Erstaunen die Siegesberichte in den Zeitungen studiert und mittels Nadeln und einem Stück Faden das Vordringen der alliierten Armeen auf einer Karte nachvollzogen. Um halb fünf am Nachmittag feierte er gemeinsam mit der Vorsteherin, dem Krankenhauspastor und einem Arztkollegen in seinem Zimmer den Waffenstillstand. Das Ganze lief ohne größeren Jubel ab. Sie saßen am offenen Feuer, tranken Tee, sprachen über Religion und über die Zukunft.
    Angus Buchanan befand sich in einem Feldlazarett in Narunyu. Eine Woche zuvor waren die 25   th Royal Fusiliers von einem südafrikanischen Infanterieverband abgelöst worden – die Soldaten waren fast apathisch in der quälenden Hitze. Einer dieser Erschöpften war Buchanan. Ein paar Tage versuchte er, sich trotz Fiebers auf den Beinen zu halten, und es gelang ihm mit größter Anstrengung, zum morgendlichen Appell zu erscheinen. Schließlich trugen ihn seine Beine nicht mehr. Buchanan wurde ins Lazarett gebracht: «Ich war am Ende, hoffnungslos erschöpft.» Man fürchtete um sein Leben. Er lag in einer Hütte und wartete darauf, zunächst nach Lindi und dann weiter per Schiff nach Dar es-Salaam evakuiert zu werden. Angus Buchanans Krieg war damit beendet. Ein Mann in Uniform kam herein. Es war O’Grady, der Befehlshaber dieses Abschnitts, ein Mann, mit dem Buchanan früher einmal zusammengearbeitet hatte. O’Grady sagte ein paar freundliche Worte und bedauerte, dass es Buchanan so schlecht ging. Und dann, «als er gegangen war», berichtet Buchanan, «verbarg ich meinen Kopf im Dunkel der niedrigen Grashütte und brach zusammen wie eine Frau».
    Willy Coppens lag im Krankenhaus in De Panne, wo er wegen der Verwundung, die er sich Mitte Oktober zugezogen hatte, behandelt wurde. Es hatte Komplikationen gegeben. Die Amputationswunde war noch offen, und seine Depression dauerte an. (Zwar war Coppens mit Orden von fast sämtlichen alliierten Mächten überhäuft worden, darunter Portugal und Serbien, doch obwohl er stets an Auszeichnungen interessiert war, half ihm dies nicht weiter. Er wusste, dass er sie zur Uniform nicht würde tragen können, und außerdem war ihm klar, dass der kommende Friedensschluss eine regelrechte Inflation von Orden mit sich bringen würde.) Am Abend hörte er plötzlich lautes Geschrei und Hurrarufen und Lachen in Wellen durch Säle, Treppenhäuser und

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