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Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Titel: Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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Regierungsebene, ist die, ob es den Deputierten erlaubt sein sollte, in Uniform zu erscheinen – wer es kann, möchte sich gern in militärischem Aufzug zeigen. Schließlich wird entschieden, dass der Frack obligatorisch ist.  38
    Corday erschrickt über die Reden und die Reaktion der Zuhörer: «Ach, wie sich die Menschen doch von Worten verhexen lassen!» Je mehr einer dieser Phrasendrescher seine Entschlossenheit betone, «bis zum bitteren Ende» auszuhalten, desto übertriebener würden seine Gesten.
    Danach begegnet er draußen im Korridor einem Mann, der jetzt Adjutant eines hohen Generals, im Zivilleben aber als Direktor der Opéra Comique bekannt ist. Der Mann erklärt, dass man Abend für Abend bis zu 1500 Besucher abweisen müsse – so groß sei der Andrang. Und in den Logen säßen meist Frauen in Trauerkleidung: «Sie kommen, um zu weinen. Nur die Musik kann ihre Trauer lindern.»
    Der Adjutant erzählt dann eine Geschichte aus seiner Zeit als Stabsoffizier. Eine Frau wollte unbedingt bei ihrem Mann, einem Hauptmann, bleiben, und so begleitete sie ihn auf seiner Reise an die Front. In Compiègne sollten sich ihre Wege trennen, da er sich direkt ins Frontgebiet begeben musste, aber die Ehefrau blieb hartnäckig. Das Verbot für Zivilisten, das Kampfgebiet aufzusuchen, gilt natürlich auch für die Frauen, deren Männer dort draußen sind. Ihre Anwesenheit störe sie im Dienst. (Die einzige Ausnahme sind Prostituierte, die spezielle Passierscheine erhalten, was angeblich von manchen besonders verzweifelten Frauen ausgenutzt wird, um ihren Männern nahe zu sein.) Der Befehlshaber sagte, in einem Fall wie diesem gebe es keine andere Möglichkeit, als den Hauptmann zum Mobilisierungsort zurückzuschicken. Was tat der Mann, als er mit dieser Drohung konfrontiert wurde? Er tötete seine Frau.

22.
    Samstag, 26. Dezember 1914
    William Henry Dawkins sitzt am Fuß der Pyramiden und schreibt an seine Mutter
     
    Anspannung, dann Überdruss, Enttäuschung und wieder neue Anspannung. Das sind die Gefühlsschwankungen bei den australischen Truppen im großen Konvoi auf dem Weg nach Europa – zumindest glauben sie, dass sie Richtung Europa fahren. Mehr als vier Wochen auf See haben die anfängliche Begeisterung gedämpft, und gleichzeitig kam das Heimweh bei vielen der jungen Soldaten, die noch nie so lange von ihren Familien getrennt waren. (Der Postgang war außerdem – aus ersichtlichen Gründen – unregelmäßig.) Die Tristesse an Bord nahm zu; in der immer schwüleren Hitze war das Wasser zur Neige gegangen, und als man ihnen erklärte, dass sie auch in Aden nicht das Schiff verlassen dürften, war die Enttäuschung allgemein. Sie schwand auch nicht, als ihnen einige Tage später mitgeteilt wurde, dass die Reise nach Europa abgebrochen und die ganze Truppe stattdessen in Ägypten an Land gehen würde. Viele hatten sich wie Dawkins darauf gefreut, Weihnachten in England zu feiern.
    Der entscheidende Grund für die Änderung der Pläne war der Eintritt des Osmanischen Reichs in den Krieg. Die Alliierten fürchteten, dass der neue Feind den strategisch wichtigen Suezkanal angreifen würde, und indem man die australischen und neuseeländischen Truppen in Ägypten an Land setzte, schuf man sich eine wichtige Reserve. Außerdem planten die Regierenden in London, die Lage auszunutzen, um das nominell osmanische Ägypten  39 in ein britisches Protektorat zu verwandeln; falls dies bei den Ägyptern zu Protesten und Unruhen führen sollte, würden die 28   000 Soldaten gut zupass kommen.  40
    Auch William Henry Dawkins war zunächst enttäuscht von der Nachricht, dass sie in Ägypten von Bord gehen würden. Doch schnell erkennt er auch die Vorteile der neuen Situation. Ihr großes Zeltlager liegt buchstäblich am Fuß der Pyramiden, ist gut organisiert, hat ordentliche Verpflegung und eine eigene Wasserversorgung, eigene Geschäfte, Kinos und sogar ein Theater. Das Klima ist in Anbetracht der Jahreszeit erstaunlich angenehm. Dawkins fühlt sich an den Frühling in Südaustralien erinnert, nur gibt es hier weniger Regen und Wind. Außerdem verkehrt ein Lokalzug zwischen dem Lager und der Stadt Kairo, die nur fünfzehn Kilometer entfernt ist. Der Zug ist regelmäßig überfüllt mit Soldaten auf der Suche nach Zerstreuung, und nicht selten sitzen die Passagiere sogar auf den Wagendächern. An den Abenden drängen sich in den hektischen Straßen Kairos australische, neuseeländische, britische und indische

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