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Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Titel: Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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sie sollten nach Angres, einem Dorf, wo sie in den Nächten zuvor gearbeitet haben, aber der Marsch geht weiter. Es ist eine kalte, wolkenlose Nacht mit hell leuchtendem Mond. Schließlich machen sie halt an einem ganz anderen Ort, nicht weit von der Hügelkette von Vimy. Dort sollen sie einen neuen Schützengraben ausheben. Von Zeit zu Zeit steigen links von ihnen Leuchtraketen auf. Ihr silbriger Schein lässt die Hügel aufleuchten, als seien sie schneebedeckt.

66.
    Sonntag, 28. November 1915
    Edward Mousley begegnet in Azizie dem auf dem Rückzug befindlichen britischen Korps
     
    Es ist alles andere als ein aufregender Ort, nur eine Flussbiegung und ein paar Lehmhäuser: Azizie. Er ist mit dem Boot vom palmenumkränzten Basra unten an der Küste tigrisaufwärts gereist. Nach Qurna, Qala Salih, Amara und Kut al-Amara. Mehrmals hat er den Namen Azizie gehört. Manche sagen, dort stände das britische Korps in Mesopotamien – oder die Force D, wie sie offiziell genannt wird. Andere behaupten, das Korps befinde sich unweit Bagdad, und die waghalsige Eroberung der großen Stadt stehe kurz vor ihrem Abschluss.
    Edward Mousley ist ein neunundzwanzig Jahre alter Leutnant der britischen Feldartillerie. Er ist in Neuseeland geboren, hat in Cambridge Jura studiert und war bis vor kurzem in Indien stationiert. Da die Operationen in Mesopotamien in erster Linie unter die Verantwortung der indischen Kolonialregierung fallen, ist es ganz natürlich, dass Verstärkungen auch von dort geholt werden. (Der Hauptteil der Soldaten des britischen Korps sind gebürtige Inder.) Denn Mousley und die anderen an Bord des Flussschiffs sind genau das: Verstärkungen, Ersatzmannschaft für Soldaten, die gefallen, verwundet, verschwunden oder krank geworden sind. Fotos zeigen einen selbstbewussten Mann mit eng stehenden Augen, kleinem, gut getrimmtem Schnauzbart, intensivem Blick und Siegelring; seine Haltung verrät eine leicht ironische Nonchalance. Er hat noch nie Kriegsdienst geleistet, ist noch nie beschossen worden.
    Mousley gehörte nicht zu jenen, die die erstbeste Gelegenheit ergriffen, um in den Kampf zu ziehen. Vielmehr ist er per Telegramm gerufen worden, das ihn während einer Übung erreichte. Er begann sofort, sich fertig zu machen, um «Training mit der Realität zu tauschen». Sein Oberst hatte ihm gute Ratschläge gegeben, die anderen hatten ihm kräftige Drinks spendiert. Er war nicht ganz gesund, sondern litt noch unter den Folgen eines Malariaanfalls, doch die Krankheit hielt ihn nicht auf. Einige überflüssige Dinge, wie sein Motorrad, hat er in Erwartung seiner Rückkehr untergestellt, sein wertvollstes Stück aber hat er zu seiner Freude mitnehmen können: sein Pferd, den schönen Don Juan. Dann waren er und einige andere Männer in Uniform an Bord eines kleinen Postschiffs gegangen, das sie übers Meer gebracht hat.
    Der Marsch der Force D nach Norden ist weder besonders durchdacht noch wirklich notwendig. Das Ganze hat entweder mit Symbolik zu tun («Bagdad ist gefallen» macht sich hervorragend als Schlagzeile in London und ist für Konstantinopel, Berlin und Wien wie eine Ohrfeige) oder mit dem gewohnten Übermut. Die britischen Operationen am Persischen Golf setzten unmittelbar nach Kriegsbeginn ein, noch bevor das Osmanische Reich sich auf die Seite der Mittelmächte gestellt hatte, und dienten anfänglich allein dem Zweck, die Ölfelder an der Küste zu sichern.  65 Wie so häufig in solchen Fällen war jedoch der Appetit beim Essen gekommen.
    Ein erster, ohne Anstrengung errungener Erfolg an der Küste hatte zu einem weiteren Vorstoß geführt. Als auch dieser erfolgreich verlief und die osmanische Armee zudem Anzeichen erkennen ließ, einer direkten Konfrontation auszuweichen, machte man noch ein paar Sprünge tigrisaufwärts, bis General Nixon, der lokale Oberbefehlshaber, der unten im Schatten von Basra geblieben war, zufrieden über seiner Karte geraunt hatte, man könne dann ja ebenso gut sein Glück versuchen und gleich Bagdad einnehmen – die Stadt war ja nur vierhundert Kilometer entfernt, right ?
    Wrong . Diese vierhundert Kilometer auf der Karte haben sich gleichsam ausgedehnt, so fühlt es sich jedenfalls an, je weiter das Korps durch Fliegengesumm, glühende Hitze und überschwemmte Wasserläufe vorwärts marschiert ist. Gleichzeitig sind die Versorgungslinien faktisch immer länger geworden.
    Mousley hat schon Anzeichen entdeckt, dass die Eroberung Bagdads vielleicht nicht planmäßig

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