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Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Titel: Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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erfahren auch sonst keine Neuigkeiten, egal welcher Art. Dies ist ein großartiges Land und ein großartiges Leben, das dich in Form hält. Seit ich in Arizona war, ist es mir nie so gut gegangen wie jetzt.
     
    Aber nun traf der nicht ganz überraschende Befehl ein, dass das Feldlazarett abgezogen werden soll. Wenn es kein Serbien mehr gibt, dem man beistehen kann, hat es auch keinen Sinn mehr, sich nach Belgrad durchzuschlagen. Die Orientarmee, wie Sarrails Korps jetzt genannt wird, müht sich, von bulgarischen Truppen verfolgt, langsam zurück ins neutrale Griechenland. Wieder mal ist ein ausgefallener und großartiger alliierter Plan, sozusagen auf Umwegen das Patt zu überwinden, gescheitert.  67 King und die anderen neunundzwanzig Frauen des Feldlazaretts haben weniger als vierundzwanzig Stunden Zeit, die Patienten zu evakuieren, die Ausrüstung zusammenzupacken und das Lager abzubrechen.
    Die einzige Möglichkeit, von Gevgelí wegzukommen, ist der Zug. Die Landstraßen sind in miserablem Zustand oder werden von den Bulgaren kontrolliert. (Dreizehn französische Sanitätsautos haben den Versuch gewagt, sind aber angeblich in einem Hinterhalt verschwunden.) Sie laufen Gefahr, in die Falle zu gehen.
    Jetzt ist es Mitternacht. Olive King sieht den restlichen Stab des Feldlazaretts mit einem Zug davonfahren. Sie und zwei andere Fahrerinnen bleiben auf dem kleinen Bahnhof zurück, dazu die drei Sanitätswagen des Feldlazaretts, die keinen Platz im Zug gefunden haben. Für Olive King ist es undenkbar, Ella allein zurückzulassen.
    Ein Zug nach dem anderen in Richtung Süden fährt ein, alle sind voll beladen mit Menschen und Material. Für drei Frauen gibt es Platz, aber gewiss nicht für drei Sanitätswagen, darunter ein ungewöhnlich großer. Sie warten, hoffen. Sie sehen die Sonne aufgehen. Sie hören das Echo von Schüssen, das von den weißen, schneebedeckten Bergen herunterrollt. Olive King schreibt: «Es ist merkwürdig, dass wir der persönlichen Gefahr, in der wir uns befanden, keinen einzigen Gedanken widmeten. Das Einzige, weswegen wir uns Sorgen machten, waren unsere kostbaren Autos.»
    Dann kommt der letzte Zug. Bulgarische Truppen stehen weniger als einen Kilometer entfernt.
    Schließlich sehen sie drei leere Tiefladewagen, und ohne eine Erlaubnis abzuwarten, fahren sie ihre Sanitätsautos hinauf. Der Zug verschwindet aus dem Bahnhof. Gevgelí brennt. Kurz bevor die Stadt aus dem Blickfeld verschwindet, sieht King im Bahnhofsgebäude eine Granate explodieren.

68.
    Montag, 13. Dezember 1915
    Edward Mousley leitet das Feuer in Kut al-Amara
     
    Er ist früh auf den Beinen, denn ab heute hat er eine neue Aufgabe: Er ist Feuerleitoffizier. Dies ist nicht nur mühsam, sondern auch gefährlich, denn es setzt voraus, dass er sich in einem immer noch primitiven, sandigen Schützengrabensystem so weit wie möglich nach vorn arbeiten muss; an gewissen Stellen müssen er und sein Signalgeber durch Vertiefungen kriechen, die eher an Straßengräben erinnern. Er trägt keinen Tropenhelm mehr, da dieser zu auffällig ist, sondern nur noch eine Wollmütze, in der Hitze nicht gerade das Bequemste.
    Das britische Korps hat seinen Rückzug nach Süden in der kleinen Stadt Kut al-Amara unterbrochen. Hier will man auf Verstärkung oder eher auf Entsatz warten, denn seit zwei Wochen ist man von vier osmanischen Divisionen eingekesselt. Der Befehlshaber des Korps, Townshend, hat seine Truppen umschließen lassen. Teils weil seine Soldaten allzu erschöpft sind, um den Rückzug fortzusetzen, teils weil man auf diese Weise den Feind davon ablenkt, zu den Stützpunkten und den Ölfeldern an der Küste weiterzumarschieren. Die Stimmung bei den Eingeschlossenen ist jedoch gut. Alle sind davon überzeugt, es sei nur eine Frage der Zeit, bis sie entsetzt werden. Auch wenn Mousley, wie viele andere, dem abenteuerlichen Versuch, mit einer viel zu kleinen Streitmacht und nach ausgesprochen schlechten Vorbereitungen Bagdad einzunehmen, äußerst kritisch gegenübersteht, ist er ruhig. Es wird gutgehen.
    Im Laufe des Tages kriecht er sicher mehrere Kilometer auf allen vieren. Zuweilen kriecht er durch Wolken von Gestank. Dort sind die Leichen der Gefallenen nur über den Rand des Schützengrabens gerollt worden und verwesen jetzt in der sengenden Sonne. An manchen Stellen sind die feindlichen Schützengräben nur dreißig Meter entfernt. Er dirigiert mit großem Geschick und nicht ohne Genugtuung Granaten, die vier, fünf Meter über

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