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Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Titel: Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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Hauptstadt Bukarest wird von deutschen und österreichisch-ungarischen Truppen eingenommen.
12.12.
Deutsche Friedensinitiative. Wird von den gegnerischen Staaten abgelehnt.

74.
    Samstag, 1. Januar 1916
    Edward Mousley sieht über Kut al-Amara die Sonne aufgehen
     
    Sie nennen es the stack , den Haufen. Es ist ein riesiger Stapel von gefüllten Mehlsäcken, über vier Meter hoch, auf dessen Spitze ein Beobachtungsposten eingerichtet ist. Die Aussicht von dort oben ist vorzüglich. Man hat beinahe Rundumsicht bis zum Horizont, und die osmanischen Belagerungstruppen im Norden der Stadt lassen sich von dort aus observieren. Der Haufen erhebt sich mitten im sogenannten Fort, einem großen, von Mauern umschlossenen Platz am nordwestlichen Ende der britischen Verteidigungslinien um Kut al-Amara.
    Edward Mousley befindet sich seit gestern im Fort, er ist hergeschickt worden, um einen verwundeten Feuerleitsoldaten zu ersetzen. Der Weg hierher war weit und gefährlich. Er musste durch etwa drei Kilometer Schützengraben gehen, um ans Ziel zu kommen. Überall lauern feindliche Scharfschützen, die auf alles feuern, was sich bewegt. Wegen der isolierten Lage des Forts ist das dort servierte Essen besonders schlecht, selbst im Vergleich zu Kut al-Amara; sie haben damit begonnen, ihre Zugtiere und die Pferde zu schlachten (aber noch nicht Mousleys geliebten Don Juan), und die Soldaten, die sich näher an der Stadt befinden, bekommen oft Pferdefleisch zu essen.
    Mousley ist schon eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang aufgewacht. Er und der andere Feuerleitsoldat im Mehlsackhaufen frühstücken schichtweise. An diesem frühen Morgen essen sie das Übliche: Reis und Fleischkonserven, die sie mit Tee hinunterspülen; Butter oder Zucker gibt es nicht mehr. Mousley liebt es, die Sonne aufgehen zu sehen, zu beobachten, wie sich die Schatten der Nacht von der flachen Wüstenebene lösen. An diesem Morgen ist es ein betörend schöner Himmel, der vor seinen Augen erleuchtet wird, dunkelgrüne, violette und lila Farbtöne verlieren sich in einem Meer von rasch vorübersegelnden Wolken. Heute ist der Neujahrstag, und so will er gern hoffen, dass dies ein Omen ist, dass sie dazu bestimmt sind, wie die schnellen Wolken nach Bagdad weiterzuziehen. Alle in Kut al-Amara warten geduldig auf den Entsatz, der den Optimisten zufolge nur einige Tage entfernt ist, während die Pessimisten die Zeit lieber in Wochen messen. Wetten werden abgeschlossen. Manchmal spielen sie Fußball. Die Hitze ist betäubend.
    Er mag die Morgendämmerung auch aus einem anderen Grund: Es ist die beste Zeit, die Geschütze einzuschießen – später am Tag gibt es nämlich Luftspiegelungen. Noch ist der feindliche Beschuss nicht so heftig. Der Feind hat herausgefunden, dass die britische Artillerie vom «Haufen» aus geleitet wird, was bedeutet, dass nach der Eröffnung des eigenen Feuers sofort feindliche Geschosse gegen die Wände prasseln. (Er beschreibt das Geräusch einer Garbe so: «r-r-r-rip».) In regelmäßigen Abständen müssen sie die doppelte Schicht von Säcken ausbessern, da die Geschosse mit der Zeit die äußere Schicht zerstören.
    Später kann Mousley durch sein Fernglas beobachten, wie osmanische Soldaten eine Artilleriestellung ausbauen. Er alarmiert eine der Batterien, gibt die Koordinaten durch, und kurz darauf donnern die Geschütze. Die feindlichen Soldaten sind jedoch keineswegs leicht einzuschüchtern. Er sieht im Fernglas, wie sie sich in Deckung werfen, wenn eine Salve angesaust kommt, aber sofort wieder aufstehen, noch bevor die Detonationswolken sich verzogen haben, und schnell weiter hacken und graben. Furchtlose Burschen. Da wechselt Mousley die Feuerart. Die Batterie soll truppweise schießen; so werden weniger Granaten abgefeuert, die aber umso häufiger treffen. Das scheint Wirkung zu zeigen. Nach einiger Zeit sieht er drüben Sanitäter und Bahrenträger mit Karren eintreffen.
    Das Fort ist einer der Eckpfeiler in der Verteidigung von Kut al-Amara und liegt unter ständigem Beschuss. (Als Mousley an einer Mauer entlanggeht, schlagen Kugeln durch die niedrigen Schießscharten ein, und sie müssen von Scharte zu Scharte hetzen.) Deshalb befinden sich die Infanteristen, die die Stellung halten, meistens unter der Erde. Die Stellung ist ein Wirrwarr von Laufgräben, Schutzräumen und tiefen Gruben, in denen sie Munition und andere Vorräte lagern.
    Am Nachmittag besucht Mousley einen der Außenposten des Forts. Heiligabend unternahm die

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