Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)
Universität in Bologna. Dort kamen zwei seiner Leidenschaften zusammen: sein Interesse für Bergsteigen und Wintersport und das Schreiben. So hat er während seines Studiums einige Artikel zu diesen Themen verfasst, die dann in der lokalen Tageszeitung Il Resto del Carlino veröffentlicht wurden. Als Italien im Mai dieses Jahres Österreich-Ungarn den Krieg erklärte, war es für ihn und seine Kommilitonen eine Selbstverständlichkeit, sich als Freiwillige zu melden. Für Monelli ist dies weitaus mehr als eine Geste, denn er ist der einzige Sohn der Familie und hätte als solcher das Recht, vom Kriegsdienst befreit zu werden. Er hat es bewusst vermieden, sich darauf zu berufen. Stattdessen ist er aufgrund seiner Erfahrungen als Bergsteiger von den Alpini , den Gebirgsjägern, aufgenommen worden, der Elite der italienischen Infanterie. Im Juni hat er in Belluno seinen Dienst angetreten.
Im allerletzten Moment sind Monelli jedoch Bedenken gekommen. Am Morgen seiner Abreise war er früh von einem Klopfen am Fenster geweckt worden und hatte plötzlich einen Anflug von Angst verspürt. Und er erinnert sich, dass ihn eine Katerstimmung befallen hatte, denn er war in einem euphorischen Rausch eingeschlafen, aber mit dumpfen Zweifeln erwacht. (Das Mädchen, mit dem er den Abend verbracht hatte, musste weinen, doch das hatte er nicht so ernst genommen.) Düstere Bilder von den Qualen, die ihn erwarteten, standen ihm vor Augen. Es war für ihn so selbstverständlich gewesen, diesen Schritt zu tun, aber er war sich im Grunde nicht darüber im Klaren, warum . «Ist es Überdruss angesichts meines öden Lebens in Friedenszeiten, lockt mich das riskante Spiel auf den Gipfeln, ist es, weil ich es nicht ertragen kann, nicht dabei gewesen zu sein, wenn andere davon erzählen werden – oder einfach nur eine ehrliche Liebe zu meinem Land, die mich so stark zum Krieg hinzieht?» Und er erinnert sich daran, dass es ein kalter Morgen war, an dem er aufbrach.
Die Zweifel hatten sich jedoch rasch in Aufregung verwandelt. Er hat selbst ein «wollüstiges Gefühl von Leere» beschrieben, «den Stolz der frischen Jugend – die Spannung der Erwartungen». Noch hat er kaum etwas vom Krieg gesehen, geschweige denn erlebt. (Als er zum ersten Mal in der Ferne Gewehrfeuer hört, erinnert ihn das Knallen an das klickende Geräusch von Billardkugeln, die aneinanderstoßen.) Auf Fotos ist ein schmächtiger Mann mit hängenden Schultern zu erkennen, mit dunklem, dichtem Haar, neugierigen, tiefliegenden Augen, sinnlichen Lippen und einem Grübchen am Kinn. Er sieht jünger aus als vierundzwanzig Jahre. In seiner Uniformjacke trägt er ein Exemplar von Dantes Göttlicher Komödie im Taschenformat bei sich.
Monelli verbringt den Tag in einem weißen Haus, wo er sich in einem im Rokokostil eingerichteten Schlafzimmer auf einem niedrigen Diwan zur Ruhe legt. Aber es fällt ihm schwer, Ruhe zu finden. Vielleicht stört ihn das Getrappel der Soldaten, die die hölzerne Treppe auf und ab laufen, vielleicht ist er ganz einfach zu nervös bei all dem, was ihn erwartet. Später gehen sie den Angriffsplan für den Abend durch. Es wird nicht leicht werden. Sie wissen nicht genau, wie man diesen Posten erreicht, und als sie sich über die Karte beugen, können sie nicht einmal die eigene Position finden.
Um neun Uhr abends treten sie an und marschieren ab. Es ist sternenklar und kalt. Sie kommen in einen dichten Wald. Die Nervosität nimmt zu. Das Geräusch von Stiefeln, die durch den verharschten Schnee trampeln, wächst in ihren Ohren zu einem verräterischen Dröhnen an. Monelli spürt, dass er hungrig ist. Da hallt ein einsamer Schuss. «Ta-bum. Alarm.»
Ein Anflug von Kälte, das Herz schlägt schneller. Der erste Schuss des Krieges: eine Warnung, die bedeutet, dass die Kriegsmaschinerie in Gang gesetzt wurde und dich unerbittlich mitreißt. Jetzt bist du darin gefangen und wirst dich nie mehr befreien können. Vielleicht hast du es vorher nicht geglaubt; noch bis gestern hast du mit deinem Leben gespielt, aber so, als ob du deinen Einsatz jederzeit zurückziehen könntest. Du hast leichtfertig von Heldentaten und Opfern gesprochen, von denen du keine Ahnung hattest. Jetzt bist du an der Reihe.
Monelli betrachtet einen seiner Kameraden, der seinen sonst so verschlossenen, unergründlichen Gesichtsausdruck verloren hat und vor innerer Erregung fast glüht. Der Kamerad sieht einige Österreicher zwischen den Bäumen unter ihnen davonlaufen und
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