Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)
feuert zwei Schüsse in ihre Richtung. «In diesem Augenblick», erzählt Monelli, «fällt etwas von mir ab, die Angst ist restlos verschwunden, und ich bin so beherrscht und geistesgegenwärtig, als sei dies eine Übung auf dem Exerzierplatz.»
Dann – nichts.
Patrouillen werden ausgesandt.
Monelli und die anderen warten ab, im Halbschlaf. Die Morgendämmerung bricht heran. Ein fröhlicher Leutnant taucht auf, sein Gesicht ist gerötet von der Anstrengung, er gibt einen Befehl, verschwindet nach rechts. Gewehrfeuer hallt in einiger Entfernung. Monelli hört einen Verwundeten stöhnen.
Dann – nichts.
Die Sonne geht auf. Sie beginnen mit dem Frühstück.
Da hört man Maschinengewehre. Der Kampflärm schwillt an, pflanzt sich fort, kommt näher. Einige leicht Verwundete marschieren vorbei. Irgendwo dort vorn wird gekämpft.
Das Frühstück wird unterbrochen. Einige fluchen. Der Zug tritt an. Dann geht es los über den Schnee. «Ist dies der Tod, dieses Chaos von Schreien und Pfeifen, diese Äste, die im Wald abgeschnitten werden, dieses Keuchen von Granaten am Himmel?»
Dann – nichts.
Stille. Schweigen.
Auf dem Rückmarsch herrscht Hochstimmung. Zwar haben sie nicht einmal den Posten gefunden, den sie einnehmen sollten, aber die Soldaten sind froh, heil davongekommen zu sein, und Monelli ist zufrieden, ja beinahe euphorisch, er hat seine Feuertaufe bestanden. Durch ein Loch, das in den Stacheldraht geschnitten wurde, kehren sie in die eigenen Stellungen zurück. Da steht jedoch der Divisionschef und erwartet sie, stramm, kalt und mürrisch. Als Monellis Bataillonskommandeur, ein Major, in der vorwärts stampfenden Kolonne von Männern erscheint, hält der Divisionschef ihn auf und erteilt ihm eine Rüge. Sie hätten den Posten finden müssen. Sie hätten den Posten einnehmen müssen. Sie hätten verdächtig geringe Verluste erlitten. Und so weiter. Dann steht der Divisionschef am Weg und starrt mürrisch und steif auf die vorbeidefilierenden Soldaten. Als alles vorbei ist, setzt er sich auf die Rückbank eines wartenden Autos und verschwindet.
Gegen Abend sind sie zurück in dem menschenleeren Dorf. Monelli geht in das ausgekühlte weiße Haus und breitet wieder seinen Schlafsack auf dem niedrigen Diwan im Rokokozimmer aus. Durch die Löcher in der Decke sieht er Sterne funkeln.
73.
Sonntag, 26. Dezember 1915
Angus Buchanan geht bei Tieta auf Nachtpatrouille
Die Dunkelheit, die sie umgibt, ist beklemmend, denn über ihnen sind nur Sterne zu sehen und noch kein Mond.
Buchanan und die anderen tragen Mokassins; es ist nämlich fast unmöglich, in schweren Marschstiefeln lautlos durch den Busch zu schleichen. Ihr Auftrag ist der übliche: Sie sollen deutsche Patrouillen daran hindern, neue Sabotageakte gegen die Uganda-Eisenbahn zu verüben. Es ist ungefähr halb zehn abends. Schnell bewegt sich die kleine Gruppe einen Weg entlang, der sie zu der rund acht Kilometer entfernten Stelle führt, wo sie sich auf die Lauer legen wollen. Sie gehen mit großem Abstand in einer Reihe. Dann und wann halten sie inne, um zu horchen.
Angus Buchanan ist gerade zum Leutnant befördert worden. Er hat bei den 25 th Royal Fusiliers schnell Karriere gemacht, noch im April war er gemeiner Soldat. Nicht ohne Bedauern verlässt er das Leben im Glied, ein «frohes, verantwortungsfreies, ungeordnetes Dasein».
Nachdem sie einige Zeit schweigend marschiert sind, hören sie plötzlich ein lautes Geräusch. Sie bleiben stehen.
Es kommt von links des Weges.
Sie hören das Knirschen brechender Zweige und das Knacken von Unterholz. Feindliche Patrouillen bewegen sich nicht so. Sie erblicken ein Nashorn. Alle bleiben sofort stehen. Im Dunkeln kann man nicht erkennen, ob das gewaltige Tier sich bereit macht anzugreifen. Es folgen Sekunden der Anspannung. Nashörner sind nicht ungewöhnlich in dieser Gegend, und sie sind sehr gefährlich, weitaus gefährlicher als Löwen. Buchanan hat gelernt, dass Löwen nur angreifen, wenn sie verletzt sind. Im Verlauf dieses Jahres sind in Ostafrika dreißig britische Soldaten von wilden Tieren getötet worden.
Das Nashorn trabt durchs Buschwerk davon. Die Gefahr ist vorüber. Die vier Männer schleichen weiter.
Unter einem großen Mangobaum finden sie die noch glühenden Reste eines Lagerfeuers. Der Feind ist irgendwo da draußen im Dunkeln.
Der Mond geht auf. Sie können auf dem staubweißen Weg vor sich ihre Schatten erkennen, wie in die Länge gezogene schwerelose Gestalten.
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