Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)
Kaffeekochen reicht es – und vielleicht auch, um eine Dose mit Würstchen aufzuwärmen. Es passiert nicht viel in Saloniki, wie üblich. Die Front ist ruhig, so ruhig, dass die Soldaten in der vordersten Linie sogar planen, einen Gemüsegarten anzulegen. An kriegerischen Aktivitäten wird nicht viel mehr geboten als vereinzelte Angriffe durch deutsche Zeppeline. Den ersten schlimmeren Angriff hat es Ende Dezember gegeben, einen zweiten vor vier Tagen. Die Verluste waren überschaubar.
Genau wie an anderen erstarrten Fronten erhalten die Luftkämpfe eine Aufmerksamkeit, die in keinem Verhältnis zu ihrer tatsächlichen Bedeutung steht. Sie müssen für all das herhalten, was man sich vom Krieg versprochen hat, jetzt aber so schwer zu finden ist: Farbe, Spannung und Dramatik, eine Bühne, wo der Mut und die Geschicklichkeit des Einzelnen zählen. Kürzlich paradierte man mit einem abgeschossenen deutschen Flugzeug unter großem Jubel durch Saloniki. (Dass es ausgerechnet hinter den französischen Linien niedergehen musste, war vor allem Zufall. Die Maschine hatte nur einen einzigen Treffer erhalten, aber der saß im Benzintank.) King war dabei, um zuzuschauen. An der Spitze klapperte alliierte Kavallerie, dann folgten einige Automobile, in denen stolze Piloten saßen, danach das Flugzeug, auf drei Lastwagen verteilt, dahinter weitere Automobile, und am Ende noch ein Reitertrupp. King schreibt am selben Tag an ihre Schwester:
Dies war die offizielle Prozession, die den Eingeborenen 6 imponieren sollte, und sie starrten wirklich mit offenen Mündern, aber das Lustigste war die Menge von Lastwagen, Krankenwagen, Autos, Straßenbahnen, Ochsenkarren, Packpferden und dergleichen, die von der Parade aufgehalten wurden und jetzt hinter ihr her ächzten.
Draußen in der Dunkelheit fällt Regen. King verfasst den Brief an ihre Schwester im Zelt liegend, und er wird ziemlich kurz, denn sie hat nur noch eine halbe Kerze. Danach legt sie sich ins Bett, was immer schnell geht: Sie zieht nur die Stiefel und den Rock aus und kriecht dann unter die Wolldecke und den Mantel. Morgen haben sie und die drei anderen im Zelt einen freien Tag, und darauf freut sie sich. Sie hat sich vorgenommen auszuschlafen. Zum Frühstück werden sie sich drei Eier teilen, die sie am Nachmittag gekauft hat.
82.
Sonntag, 13. Februar 1916
Rafael de Nogales und die Wildgänse vom Tigris
Es ist kalt. Gegen elf Uhr morgens geht der Regen in starken Schneefall über. Die flache Wüstenlandschaft um sie herum färbt sich exotisch weiß. Rafael de Nogales befindet sich auf einem Dampfschiff, das auf dem schlammfarbenen Tigris nach Süden fährt, zur Front. Noch einmal sucht er den Kampf und die Gefahr. Am Vortag hat er seinen Stabsposten in Bagdad verlassen, um in einer Kavalleriebrigade Dienst zu tun, die an den schweren Kämpfen um Kut al-Amara teilnimmt.
Wenn man von der Kälte absieht, ist es eine angenehme, beinahe idyllische Reise:
Das Einzige, was die Monotonie der Landschaft durchbrach, waren die Djirts und Wasserräder, die sich an beiden Ufern des Flusses langsam drehten, deren Konturen in regelmäßigen Abständen von staubigen Palmenhainen und kleinen gelben Dörfern belebt wurden. Dann und wann zogen Scharen von Wildgänsen flügelschlagend über den bleigrauen Himmel, vielleicht dadurch aufgescheucht, dass die Besatzung einer Dau das dreieckige Segel hisste und dazu eines jener langsamen, schwermütigen Lieder sang, die mehr Klageliedern glichen und die so gedehnt und melancholisch waren wie der Wüstenhorizont.
De Nogales hatte tatsächlich sein Gesuch um Entlassung aus der osmanischen Armee eingereicht, nachdem er – zu Pferde von Sairt kommend – krank und erschöpft in Aleppo angekommen war. Nichts auf seinem Weg hatte ihn dazu gebracht, seine Meinung zu ändern. Im Gegenteil. Immer wieder war er auf Spuren von Massakern an Christen gestoßen, und er hatte lange Kolonnen deportierter Armenier gesehen, in erster Linie Frauen und Kinder, die «schmutzigen, zerlumpten Skeletten» ähnelten; Todesmärsche unter der gewissenhaften Aufsicht osmanischer Soldaten.
Das Kriegsministerium in Konstantinopel teilte ihm in einem Telegramm mit, dass sein Gesuch abgelehnt worden war, bot ihm aber gleichzeitig einen Aufenthalt im Krankenhaus des Hauptquartiers an. Das Risiko wollte de Nogales nicht eingehen; als Zeuge der Massaker fürchtete er um sein Leben. Nachdem er Kontakt zur deutschen Militärdelegation in Aleppo
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