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Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Titel: Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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hergestellt hatte, fühlte er sich jedoch immerhin so sicher, dass er sich – nach einmonatiger Rekonvaleszenz – zum Dienst zurückmeldete.
    So kam er auf einen Verwaltungsposten in einem kleinen, entlegenen Ort in der Provinz Adana. Dort hatte er halbwegs erfolgreich Chaos, Korruption und die Inkompetenz bekämpft, die im Transportapparat des osmanischen Heeres vorherrschten, bis ein unerwartetes Telegramm ihn im Dezember auf einen neuen Posten berufen hatte, diesmal im Stab des deutschen Generalfeldmarschalls von der Goltz, der in Mesopotamien den Oberbefehl über die osmanische 6. Armee innehatte.
    Voller Unruhe, aber begierig nach neuen Herausforderungen und froh darüber, an der Kreuzung der Karawanenstraßen in Adana dem inneren Exil entrinnen zu können, ist de Nogales nun aufgebrochen nach Süden, an die Front in Mesopotamien. Dass der britische Vorstoß nach Bagdad zum Halten gebracht wurde, wird als großer Erfolg gewertet, und ein noch größerer wartet vielleicht, wenn man das eingeschlossene britische Heereskorps in Kut al-Amara zur Kapitulation zwingen kann. Um die kleine Stadt herum, aber auch weiter stromabwärts, wo britische Verbände sich zu den Eingeschlossenen durchzuschlagen versuchen, wird erbittert gekämpft.
    Nach einigen Stunden Fahrt begegnet ihnen ein anderes Schiff. Die beiden Schiffe gehen längsseits. De Nogales sieht einen kleinen Mann in der Uniform eines osmanischen Oberst, mit Spitzbart und «stolz, aber anspruchslos», über die Laufplanke kommen. Es ist Nur ed-din, der Mann, der nicht nur den Befehl führte, als die Briten bei Ktesiphon aufgehalten wurden, sondern der auch verantwortlich war für die erfolgreiche Einkesselung des Townshend’schen Korps. Nur ed-din ist jetzt auf dem Weg nach Konstantinopel, «gedemütigt und bloßgestellt», vom Gouverneur in Bagdad seines Postens beraubt. Halil, der Gouverneur, kann zwar nicht mit militärischem Geschick aufwarten,  7 hat jedoch erstklassige politische Beziehungen.  8 Und jetzt, da ein großer Sieg in der Luft liegt, ist er darauf versessen, den Triumphator zu spielen.
    Durch seine schieren Ausmaße produziert dieser Krieg Helden am laufenden Band – die Zeitung ist voll von ihnen. Und ebenso schnell sind sie verschlissen. Auf die meisten warten der Tod und das Vergessen. Der Sieg bei Ktesiphon hat einen zweiten Architekten, den deutschen General von der Goltz. Trotz seines hohen Rangs ist der Deutsche mittlerweile isoliert, außerdem ist er krank. Er verbringt seine Tage allein in einem kleinen, schmutzigen Zelt. Der zweiundsiebzigjährige Colmar von der Goltz hat zu diesem Zeitpunkt noch gut zwei Monate zu leben, bevor der Typhus auch ihn dahinrafft.  9
    Am frühen Abend sieht de Nogales dünne Rauchspiralen, die «zu einem blaugrau und gold melierten Himmel aufsteigen». Die Front ist nah. Der Transport hat die Stelle erreicht, wo er vom Wasserweg auf den Landweg wechselt. Hier kann er beobachten, wie sich die Zahnräder der gewaltigen Maschinerie drehen, die den Krieg in Gang hält. In den meisten Armeen sind bis zu fünfzehn Mann erforderlich, die hinter den Linien arbeiten, um einen einzigen Infanteriesoldaten zu versorgen.
    Während die Waffen in den vergangenen fünfzig Jahren immer ausgefeilter wurden, haben sich die Transportmittel kaum verändert. Dies vor allem trägt dazu bei, dass der Krieg so häufig ins Stocken gerät oder ganz zum Stillstand kommt. Wenn die Züge ihre Endstation erreicht haben, bewegen sich die Armeen auf exakt die gleiche Art und Weise vorwärts wie zu Zeiten Caesars oder Napoleons, also mit Hilfe der Muskelkraft, die in den Beinen der Menschen und den Rücken der Pferde steckt. Aber die immer komplexeren Organisationen verlangen nach immer mehr Ausrüstung, und die immer schneller schießenden Waffen verlangen nach immer mehr Munition.  10
    Die meisten Feldzüge – besonders die, die jenseits des engmaschigen Eisenbahnnetzes in Westeuropa stattfinden – werden eher durch Logistik als durch Taktik entschieden. Wie tapfer die Soldaten und wie hoch entwickelt ihre Waffen auch sein mögen, man gerät unweigerlich ins Hintertreffen, wenn der Transportapparat unzureichend ist. Der Konflikt hat sich also zu einem ökonomischen Wettbewerb entwickelt, zu einem Krieg der Fabriken. Und Logistik ist die Schwachstelle des osmanischen Heeres.
    De Nogales hat im Laufe seiner Dienstzeit viele Beispiele für osmanischen Schlendrian und Klüngel gesehen, aber hier an der Front in Mesopotamien hat man

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