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Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)

Titel: Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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hängt.
Für einen Augenblick richtet sie ihren apathischen Blick auf mich, dann wendet sie sich mit völliger Gleichgültigkeit wieder ihrer Beschäftigung zu. Vor ihr liegt eine Feldpostkarte.  15 Eine Feder hält sie schon länger in der Hand, aber noch hat sie kein einziges Wort geschrieben. Vielleicht liegt es daran, dass ich sie beobachte, oder an dem Gestampfe einer neuen Kompanie auf dem Weg zur Front, das sie in ihren Gedanken gestört hat. Endlich schreibt sie die Adresse mit langen, energischen Strichen. Dann senkt sie ihren Kopf ein wenig, beugt sich zum Tisch hinab und sitzt dann wieder mit leeren Augen da.
Der Zug mit der Kompanie fährt jetzt ab. Pfeifen, Rufe und Gesang hallen durchs Restaurant. Sie hebt den Kopf ein wenig, blickt aber nicht hinaus. Ich sitze mit einer aufgeschlagenen Zeitung, und als ich sie hinter diesem Schutz betrachte, sehe ich, dass sie Tränen in den Augen hat. Sie zögert, dann nimmt sie ihr Taschentuch und betupft vorsichtig ihre Wangen. Sie ergreift die Feder und schreibt wieder ein paar Worte.
Der Schaffner kommt vom Bahnsteig herein, klingelt mit seiner Glocke und verkündet mit Stentorstimme, dass der Zug nach Norden jeden Moment in den Bahnhof einfährt. Das Mädchen bezahlt, und mit der Umständlichkeit und Hilflosigkeit, die typisch ist für Frauen, die allein reisen, zieht sie ihren Mantel an und sammelt ihre vielen Habseligkeiten zusammen. Plötzlich fällt ihr Blick auf die halb geschriebene Postkarte auf dem Tisch; sie hebt sie auf und zerreißt sie. Ihre behandschuhten Hände zittern, sie wirft die Schnipsel auf das Tischtuch. Ein Gepäckträger begleitet sie hinaus und trägt ihre Tasche.

85.
    Samstag, 4. März 1916
    Richard Stumpf sieht die SMS Möwe im Triumph nach Wilhelmshaven zurückkehren
     
    Eine klare Frühlingsnacht. Die gesamte deutsche Hochseeflotte schwebt auf dem schimmernden Wasser, ein wenig außerhalb der Elbmündung. Soll es jetzt losgehen? Alles ist zum Kampf bereit, und sogar aus den luxuriös eingerichteten Kabinen der Offiziere ist alles Unnötige ausgeräumt worden. Die Offiziere tragen Pistolen, um «ihren Befehlen Nachdruck zu verleihen» – das ist etwas Neues und hat wohl mit dem wachsenden Unmut der Mannschaft zu tun.
    Mitten in der Nacht lichtet das Schiff den Anker. Richard Stumpf hört die bekannten Geräusche, nicht zuletzt die Erschütterungen durch die drei Dampfmaschinen. Sie gehen wie ein vibrierender Puls durch das Metall des Rumpfes. Aber die Richtung irritiert ihn. Statt des üblichen nördlichen Kurses, der auf die Nordsee hinausführt, fährt die ganze Flotte von grau angestrichenen Schiffen nach Nordwesten, vorbei an den ostfriesischen Inseln und weiter die Küste entlang. Merkwürdig.
    Der Morgen ist warm, klar und sonnig. Stumpf steht als Ausguck auf der Brücke des Linienschiffes. Ausnahmsweise ist er sehr zufrieden, mit dem Wetter, der Aufgabe, dem Leben – fast. Es liegt nicht nur am Wetter und der Tatsache, dass in der Flotte endlich etwas Bewegung herrscht. Heute Morgen wurde an der Anschlagtafel vor der Funkkabine die Kopie eines Telegramms ausgehängt, vom Chef der Hochseeflotte an die SMS Möwe . Die Botschaft bestand aus zwei Worten: «Willkommen daheim!»
    Alle kennen die SMS Möwe . Sie steht für das, was Stumpf und Millionen andere Deutsche für das Wesen des Seekriegs gehalten haben: waghalsige Manöver auf den Weltmeeren, dort wo den Elementen getrotzt und ein vermeintlich überlegener Gegner immer wieder überlistet wird, mit handfesten Resultaten.
    Die SMS Möwe begann als Pungo , als ein ganz normales Frachtschiff, das Bananen aus der deutschen Kolonie in Kamerun holte, damals, als der Frieden zerbrach. Der Krieg war gerade ein paar Tage alt, als französische und dann auch britische Truppen in die deutsche Kolonie einfielen.  16 Die Hoffnung auf schnelle Erfolge, die die Angreifer auch dort genährt hatten, war bald verflogen. Im Laufe eines zähen Feldzuges, der sich etappenweise über das ganze Jahr 1915 hinzog, waren die deutschen Außenposten schließlich gefallen, einer nach dem anderen.  17 Und da frühzeitig klar wurde, dass der Bananenhandel mit Kamerun am Ende war, jedenfalls solange der Krieg andauerte, hatte man die Pungo im Herbst 1915 zur Möwe umgebaut, einem sogenannten Handelsstörer. Die deutsche Flotte verfügte vielleicht über ein Dutzend solcher Schiffe, die wie normale Frachtschiffe neutraler Herkunft (meist aus den skandinavischen Ländern) aussahen, aber eine schwere

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