Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)
Bewaffnung an Bord hatten. Ihre bevorzugte Zielscheibe waren alliierte Handelsschiffe. Der Schrecken, den sie verbreiteten, stand in keinem Verhältnis zu ihrer Anzahl. Und es ist bemerkenswert, dass sie mehr Schiffe versenken konnten als die ganze große, teure und mächtige Hochseeflotte zusammen.
Dass all diese Linienschiffe meistens im Hafen liegen, hat in der Bevölkerung für allerlei Spott gesorgt. Diese große, teure Flotte – vor dem Krieg verschlang sie ein Drittel des Militärhaushalts – zum Nichtstun verdammt, manche behaupten hinter vorgehaltener Hand: unbrauchbar. Der letzte Marinechef, inzwischen wegen seiner Zurückhaltung abgesetzt, wurde auf der Straße verhöhnt, vor allem von Frauen. An Häuserwänden waren die folgenden Zeilen zu lesen, Straßenjungen sangen sie in Wilhelmshaven:
Lieb’ Vaterland, magst ruhig sein,
die Flotte schläft im Hafen ein.
Nein, es sind Schiffe wie die SMS Möwe , die in dieser Zeit den offenkundigen Mangel an kriegerischen Glanzleistungen der Marine wettmachen müssen. Die Möwe ist im Dezember ausgelaufen – unter schwedischer Flagge – und hat inzwischen eine, vorsichtig formuliert, kühne Reise hinter sich. Sie hat die Gewässer um die größte britische Flottenbasis, Scapa Flow, vermint und dadurch die HMS King Edward VII. , ein älteres Schlachtschiff, versenkt. Dann ist sie um Irland herum zur französischen Küste gefahren, danach an Spanien und den Kanarischen Inseln vorbei und schließlich über den Atlantik, an die Küste Brasiliens. Und die ganze Zeit hat sie Minen gelegt oder alliierte Handelsschiffe aufgebracht. In drei Monaten hat sie fünfzehn Schiffe gekapert, davon wurden dreizehn versenkt und zwei als Beute in einen Hafen geschleppt. 18
Gerade als sie sich zum Mittagessen setzen wollen, ertönen Rufe von Backbord. Stumpf und die anderen hören Jubelschreie. Als sie in die Märzsonne treten, sehen sie die kleine SMS Möwe durch die Linien der großen, grau gestrichenen Schlachtschiffe stampfen. An ihrem Mast wehen die Flaggen der fünfzehn Schiffe, die sie gekapert oder versenkt hat. Der Erste Offizier bringt ein Hurra aus, und alle stimmen ein, «mit voller Lungenkraft». Auf der flachen SMS Möwe steht die Besatzung an Deck aufgereiht und antwortet ihrerseits mit Hurrarufen. Stumpf notiert erstaunt, dass «eine Gruppe Neger in blauen Kitteln und roten Mützen» an Deck zu sehen war, «unglaublich genug, die Kanaken schrien auch Hurra».
Dann beginnt ein seltsames Ballett. Zur Begrüßung vollführt die ganze Flotte eine perfekt abgestimmte Wende:
Es war ein unbeschreiblich schönes Bild: drüben in kurzer Entfernung die im goldigsten Sonnenschein erglänzende Insel Helgoland, das tiefgrüne Meer, und es schien, als ob ein halbes Hundert vorsintflutlicher Ungeheuer einen Freudenreigen um die glücklich heimgekehrte «Möwe» tanzten. Ich habe nie so sehr bedauert, keinen photographischen Apparat zur Hand zu haben, wie in diesem Augenblick.
Triumph, ausnahmsweise. Später läuft das gesamte erste Geschwader noch einmal in Wilhelmshaven ein. Dort bunkern sie Kohle bis acht Uhr abends. Sie sollen sofort wieder auslaufen. Es heißt, diesmal werde es wirklich ernst.
***
Gut einen Monat später notiert Richard Stumpf in seinem Tagebuch:
Es war wieder einmal nichts! Während ich dies schreibe, liegen wir schon wieder gut und fest im Jadebusen und sind wieder keinen Schuss losgeworden! Jetzt glaube ich doch bald an nichts mehr! Die Stimmung an Bord ist wieder ganz traurig und niedergeschlagen.
86.
Mittwoch, 8. März 1916
Edward Mousley hört den Gefechtslärm des Angriffs bei Dujaila
Endlich: Entsatz! Schon in der Nacht bemerken sie, dass sich etwas tut, als sie von einem gewaltigen Knall geweckt werden. Jemand erzählt Mousley, es habe sich wahrscheinlich um eine Treibmine gehandelt, die für die Brücke bei Shatt al-Hai im Rücken der osmanischen Truppen gedacht war, auf Grund ging und detonierte. Sonst ist es still, also legt er sich wieder hin. Einige Stunden später wird er erneut von nahem Geschützdonner geweckt. Er schaut hinaus. Morgendämmerung.
Zuerst denkt Mousley, dass es die eigene Artillerie in Kut al-Amara ist. Dann glaubt er, die osmanische Artillerie beschieße die britischen Entsatzverbände, die sich den letzten Berichten zufolge knapp dreißig Kilometer entfernt am nördlichen Ufer des Tigris befinden. Dennoch steigt er aufs Dach und hält Ausschau. Er sieht Gefechtsblitze in der Ferne. Es sind die
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