Schönheit und Schrecken: Eine Geschichte des Ersten Weltkriegs, erzählt in neunzehn Schicksalen (German Edition)
Endstation der langen Eisenbahn, die die Deutschen von Tanga aus an der Küste gebaut haben.) Dies ist die Logik des europäischen Großkriegs, die den afrikanischen Verhältnissen aufgezwungen wird.
Anrauschen, ja. Was als schneller Vormarsch im Rücken des Feindes gedacht war, ist zu einem mühsamen Vortasten in unbekanntem Gelände ausgeartet. Besonders nachdem die Kolonne den Busch erreicht hat, hat sich das Tempo entschieden verlangsamt. Man ist außerdem im Tse-Tse-Land angekommen, und die per Spezialimport hergeschafften Pferde und Maulesel sind besonders anfällig für Krankheiten. Die Tiere sterben verblüffend schnell und in riesiger Zahl. 20 (Wer ist auf die Idee gekommen, die Pferde und Maulesel hier einzusetzen? Auf jeden Fall niemand mit Erfahrung in diesem Teil Afrikas.) Den ganzen Tag sind sie an toten und verendenden Zug- und Reittieren vorbeigekommen, die am Rande der ausgetretenen Piste lagen. Nachdem eine dieser Kreaturen gestorben ist, dauert es nur vierundzwanzig Stunden, bis der Kadaver «zu einer wimmelnden Masse von Schmeißfliegenlarven wird, ein entsetzlicher Anblick». (Gleiches gilt natürlich auch für gefallene Soldaten.) Der Gestank ist unbeschreiblich.
Eine weitere schlechte Nachricht: Bald beginnt die Regenzeit. Heute Nacht hat es in Strömen gegossen. Gegenwärtig hat man weder Wolldecken noch Zelte (die sind irgendwo im weit entfernten Tross verstaut), und Buchanan und die anderen haben nur drei Stunden geschlafen, unter freiem Himmel, direkt auf der Erde, frierend und durchnässt. Durchhalten ist manchmal schwieriger als Tapferkeit.
Den ganzen Tag sind sie weiter nach Süden marschiert, zu ihrer Linken der weiße Gipfel des Kilimandscharo. Gegen Einbruch der Dämmerung können sie endlich den Busch hinter sich lassen und erreichen offenes Gelände. Ungefähr gleichzeitig schwenkt die gesamte Kolonne nach Osten, auf den großen Berg zu. In weiter Ferne erkennen sie endlich ihr Ziel, Moshi. Der Name bedeutet «Rauch» auf Suaheli und spielt auf die Wolkenschleier an, die den 5895 Meter hohen Berg umhüllen. Bei Sonnenuntergang hört man Gewehrfeuer. Der Marsch stockt. Die Vorhut ist auf ein paar feindliche Späher gestoßen. Zu einem richtigen Gefecht kommt es jedoch nicht, wie üblich verschwinden die Gegner einfach. Nach einer kurzen Wartezeit setzt sich die Kolonne wieder in Bewegung.
Um neun Uhr schlagen sie am Fluss Sanja ihr Lager auf. Weit entfernt in der Dunkelheit, zwischen ihrem eigenen Lager und Moshi, sehen sie Feuer. In sieben Tagen sind sie knapp siebzig Kilometer marschiert. In der Nacht hört man vereinzelt Schüsse, von nervösen Wachtposten. Sonst ist alles ruhig.
Der Amboss ist allmählich dort, wo er stehen soll. Aber wo ist der Hammer?
***
Am Tag darauf zeigt sich, dass die deutschen Verbände sich aus der Falle befreit haben und nach Süden verschwunden sind, verblüffend schnell, wohlgeordnet und ohne nennenswerte Verluste. Moshi ist eingenommen worden. Der deutsche Teil der Bevölkerung ist geflohen, es sind nur noch Afrikaner da, Griechen und die ewigen Händler aus Goa. Im Übrigen ist die Operation ein Misserfolg.
Am Montag regnet es fast den ganzen Tag, am Dienstag ebenso.
89.
Mittwoch, 15. März 1916
Ein Brief an die Mutter von Vincenzo D’Aquila
Die Familie D’Aquila weiß, dass er im Lazarett liegt, aber mehr auch nicht. Seine Mutter schickt Telegramm um Telegramm mit Fragen an das italienische Militär und ans Lazarett; sie will wissen, wie es ihrem Sohn geht, ob er möglicherweise zur Genesung nach Hause in die USA reisen darf. Schließlich erhält sie aus San Osvaldo folgende Antwort:
Udine, den 15. März 1916
Sehr verehrte Dame!
Ich bedauere, Ihrem Wunsch nicht nachkommen zu können, da die Militärbehörden bereits veranlasst haben, Ihren Sohn in die Nervenheilanstalt nach Siena zu verlegen, was am Zehnten dieses Monats erfolgte.
Sein physischer Zustand ist durchaus zufriedenstellend; doch anderseits beharrt er auf seinen delirösen, grandiosen und absurden Ideen. Ich befürchte, dass wir es mit einer langwierigen Geisteskrankheit zu tun haben.
Unterschrift
Direktor
90.
Dienstag, 28. März 1916
Kresten Andresen erlebt den Frühling und die Unzufriedenheit in Montigny
Frühling, und doch nicht. Büsche und Buchen haben grüne Blattspitzen. Die Apfelbäume treiben Knospen. Im Wald sieht er Anemonen und andere Blumen sprießen. Aber es ist noch kalt. Der Wind ist schneidend.
Andresen geht es in diesen Tagen
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