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Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt

Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt

Titel: Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt
Autoren: Karl Olsberg
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Ich behaupte nicht, dass das Schwarmverhalten realer Fische tatsächlich auf Imitation zurückgeht - höchstwahrscheinlich ist es in den meisten Fällen genetisch verankert. Aber ein Schwarmverhalten könnte sich sehr wohl unabhängig von den Genen durch bloße Imitation entwickeln.
    Die Fähigkeit eines komplexen Gehirns, Verhalten zu imitieren, bringt eine dramatische Beschleunigung des evolutionären Wandels mit sich. Verhaltensänderungen müssen sich nun nicht mehr über viele Generationen langsam anpassen, sondern sie können sich sehr schnell ausbilden und ausbreiten. Berühmt geworden ist die Geschichte von Blaumeisen, die in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts in England lernten, die Pappdeckel von Milchflaschen zu öffnen. Nachdem die erste Meise vermutlich durch Versuch und Irrtum den Deckel einer Milchflasche geöffnet hatte, wurde dieses Verhalten rasch von anderen Meisen und später angeblich auch von Sperlingen imitiert. Es breitete sich so rasch über ganz England aus, dass die Molkereien dazu übergingen, die Milchflaschen mit Aluminiumverschlüssen »meisensicher« zu machen. Hätte sich das Milchflaschenöffnungsverhalten der Meisen durch genetische Mutation gebildet, hätte es sicher Jahrhunderte gedauert, bis ein solches Verhalten flächendeckend anzutreffen gewesen wäre.
    Diese rasche Anpassungsfähigkeit rechtfertigt die evolutionären Kosten eines komplexen Gehirns viel eher als bloßes Lernen durch Erfahrung. Denn in einer sich rasch verändernden Umwelt ist eine Spezies, die sich über ihr Verhalten derart schnell anpassen kann, klar im Vorteil.
    Es ist zu beachten, dass weder Lernen durch Erfahrung noch Imitation viel mit »Denken« in dem Sinn, wie wir Menschen den Begriff üblicherweise verstehen, zu tun haben. Die Blaumeisen lernten nicht etwa Milchflaschen zu öffnen, indem sie den Verschluss analysierten, die notwendige Energie des Schnabelpickens zum Durchdringen des Pappdeckels berechneten, einen Plan entwarfen und diesen dann umsetzten. Vermutlich angelockt durch den verführerischen Milchduft, pickte die erste Meise einfach drauflos. Andere Meisen folgten dem Beispiel aus purer Imitationsfreude. Doch das Verhalten der Meisen wurde durch Lernen aus Erfahrung verstärkt: Die positive Erfahrung des Milchgenusses führte dazu, dass die betroffenen Meisen sich nun viel öfter auf Milchflaschen stürzten. Das wiederum bot anderen Meisen mehr Gelegenheit, dieses Verhalten zu imitieren, und so weiter.
    Aus mathematischer Sicht ist hier etwas sehr Bemerkenswertes passiert. Die ursprünglichen Replikatoren, die Gene, spielen bei der Verhaltensänderung praktisch keine Rolle mehr. Während sich die Meisen genetisch überhaupt nicht veränderten, mutierte ihr Verhalten und breitete sich per Evolutionsmechanismus aus. Reproduktion, Mutation und Selektion müssen also auf etwas anderes als auf die Gene gewirkt haben - auf eine neue Art von Replikatoren.
    Für diese Replikatoren schuf Richard Dawkins in seinem Buch »Das egoistische Gen« den Begriff »Meme«.

1.6. Die Macht der Meme
    Richard Dawkins schreibt: »Beispiele für Meme sind Melodien, Gedanken, Schlagworte, Kleidermoden, die Art, Töpfe zu machen oder Bögen zu bauen. So wie Gene sich im Genpool vermehren, indem sie sich mit Hilfe von Spermien oder Eizellen von Körper zu Körper fortbewegen, verbreiten sich Meme im Mempool, indem sie von Gehirn zu Gehirn überspringen, vermittelt durch einen Prozess, den man im weitesten Sinne als Imitation bezeichnen kann ... Wenn jemand ein fruchtbares Mem in meinen Geist einpflanzt, so setzt er mir im wahrsten Sinne des Wortes einen Parasiten ins Gehirn und macht es auf genau die gleiche Weise zu einem Vehikel für die Verbreitung des Mems, wie ein Virus dies mit dem genetischen Mechanismus einer Wirtszelle tut ... Und dies ist nicht einfach nur eine Redeweise - das Mem etwa für den >Glauben an das Leben nach dem Tod< ist tatsächlich viele Millionen Male physikalisch verwirklicht, nämlich als eine bestimmte Struktur in den Nervensystemen von Menschen überall auf der Welt.«
    Dawkins hat mit diesen Sätzen eine neue Wissenschaft begründet, die Memetik. Er selbst bleibt allerdings eine exakte Definition des Begriffs Mem zunächst einmal schuldig und belässt es bei einigen Beispielen. Meme sind offensichtlich Informationseinheiten. Aber sind alle Informationseinheiten Meme? Ist die Zahl 73 ein Mem oder das Wort »aber«?
    Ich verwende folgende Definition:
    Ein Mem ist eine Menge von
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