Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt
generell zu verteufeln. Die Studie zeigt im Übrigen, dass häufiges und langes Computerspielen noch nicht dasselbe ist wie pathologisch süchtiges Spielverhalten. Viele Intensivspieler sind sich des Suchtpotentials durchaus bewusst. Doch es ist offensichtlich, dass es »World of Warcraft« noch viel besser als unser Fernsehprogramm schafft, Menschen in seinen Bann zu ziehen, sie zu paralysieren.
Man könnte einwenden, dass »WOW«-Spieler im Unterschied zu Fernsehzuschauern nicht bloß passiv konsumieren, sondern sich aktiv beschäftigen. Sie verbringen Zeit mit Freunden, sie reden miteinander, sie überlegen sich kreative Strategien, um gemeinsam Probleme zu lösen. Nebenbei trainieren sie noch räumliches Denken und
Hand-Auge-Koordination, lernen, schnell am Computer zu schreiben und generell mit der Komplexität moderner Technik umzugehen, wie Matthias Horx in einem Erfahrungsbericht bemerkt. Sicher Fähigkeiten, die in Zukunft nützlich sind. Was ist so schlimm daran?
Ob es »schlimm« ist, wenn Menschen einen wesentlichen Teil ihrer Zeit in virtuellen Welten statt in der realen Welt verbringen, muss jeder Leser für sich bewerten. Offensichtlich ist aber, dass das Online-Spielen bestimmte Fähigkeiten fördert, während andere verkümmern.
Dies ist der Preis, den Intensivspieler, meist unbewusst, für ihren Spaß zahlen: Die Zeit, die sie vor dem Computer verbringen, bleibt ungenutzt, um eigene Talente und die realen menschlichen Beziehungen zu entwickeln. Sie verbringen nicht »wirklich« Zeit mit Freunden - meist sind die Interaktionen in der virtuellen Welt eher flach, man trifft sich mit Unbekannten, erledigt gemeinsam eine Aufgabe und geht wieder auseinander. Selbst wenn man mit guten Freunden gemeinsam spielt, fehlt vieles, was eine menschliche Interaktion ausmacht: die Mimik und Gestik, die körperliche Nähe. Das subtile Spiel der menschlichen Beziehungen kann in »World of Warcraft« sicher nicht ausreichend trainiert werden; soziale Kompetenzen leiden darunter. Oft wird auch die Leistungsfähigkeit in Schule und Beruf durch zu intensives Spielen vermindert - es bleibt viel zu wenig Zeit für Sport, aktives Lernen oder Ruhe und Erholung.
Horx bemerkt über die Erfahrungen mit seinen eigenen Söhnen: »Die Kinder lernen langsam (und mühsam genug), die gnadenlose Sogwirkung des Spiels zu moderieren und von sich aus den Ausgang aus dem Dungeon zu finden
- die Sportanteile balancieren allmählich wieder die »WOW«-Zeit, die Schulleistungen haben sich stabilisiert.«
Andere Eltern berichten von gegenteiligen Erfahrungen. Nicht jeder Spieler findet von sich aus den Weg zurück in den tristen Alltag, und nicht jeder Jugendliche hat einen Vater, der selbst viel Zeit in der Spielwelt verbringt und beim Herausfinden helfen kann.
Es besteht die Gefahr eines Teufelskreises: Während der pathologische Intensivspieler in der virtuellen Welt immer erfolgreicher ist, gelingt ihm in der Realität immer weniger. Seine Beziehungen zu Mitspielern werden intensiver, seine Kontakte in der wirklichen Welt verkümmern. Es zieht ihn mehr und mehr in die schöne Scheinwelt. Die Verlockung der blauen Pille wird immer mächtiger. Die Therapieangebote für computerspielsüchtige Menschen boomen, und nicht alle Geschädigten sind jung.
Zwischen den ersten, rein textbasierten Adventure Games und »World of Warcraft« liegen etwa dreißig Jahre memetischer Evolution. In dieser Zeit sind wir dem Horrorszenario aus der »Matrix« bereits gefährlich nahe gekommen: Die Maschinen haben gelernt, sich unseren unerfüllten Sehnsüchten so weit anzupassen, dass ein signifikanter Prozentsatz vor allem junger Männer ihren Verlockungen in einem Ausmaß erliegt, das man nicht mehr gesund nennen kann. Dabei stehen wir erst am Anfang dieser Entwicklung.
Das Beispiel von »World of Warcraft« zeigt: Wir müssen nicht auf neuronale Interfaces, perfekte Weltsimulationen und Datenanzüge warten. Die Eigenschaft unseres Gehirns, sich voll und ganz auf künstliche Welten einzulassen, schafft uns bereits heute die fast perfekte Illusion. Doch der Kreislauf von Reproduktion, Mutation und Selektion ist noch lange nicht zu Ende. Die Scheinwelten des Jahres 2030 werden ungleich verlockender sein als alles, was uns ein heutiger PC auf den Bildschirm zaubert.
Die virtuelle Welt hat aber natürlich auch ihre guten Seiten. Als wir vor einigen Jahren ein Einfamilienhaus bauten, konnte ich selbst mit Hilfe einer kostengünstigen 3D-Planungssoftware
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