Schokoherz
ich habe mir schon gedacht, dass du hier sein musst«, erwiderte sie. »Ich dachte nur, ich komme mal vorbei und schau, wie's dir mit deinem neuen Projekt geht. Im Ernst, Süße, als du mir davon erzählt hast, dachte ich, du wärst völlig durchgedreht, aber wir müssen uns schließlich gegenseitig unterstützen, nicht wahr? Wenn jemand das hier schafft, dann du.« Ich war sprachlos. Darum umarmte ich sie ganz spontan, wogegen sie sich natürlich sofort wehrte, aus Angst, ich könnte etwas zerknittern und ihre Perfektion zerstören. Also schob ich sie zu unserem besten Tisch am Fenster. Dort würde Trudie eine erstklassige Aussicht auf die Nachbarschaft haben. Sie wiederum würde der Nachbarschaft einen Blick auf ihre vollkommene Erscheinung gewähren und damit neue Gäste anlocken. Trudie war eine ausgezeichnete Werbung für eine Chocolaterie, da sie nicht nur klapperdürr war, sondern auch diese innere Reinheit ausstrahlte, die man nur erreichte, wenn man Kakaobutter in jeglicher Form vermied. Heute glänzte sie in. schlüsselblumengelben Caprihosen aus Leinen mit passendemgelbem Kaschmirpulli, einem zierlichen kleinen Wildledertäschchen und gigantisch hohen Keilabsatz-Espadrilles. Ich selbst hätte in diesem Outfit wie ein Klumpen ranziger Butter gewirkt, doch Trudie sah so frisch und strahlend aus wie der Frühling. Wen kümmerte es schon, dass wir uns in Brüssel und nicht in Südfrankreich befanden und dass die Temperaturen sich dem zweistelligen Bereich noch nicht einmal näherten? Wenn Trudie das tragen konnte, ohne vor Unterkühlung blau anzulaufen, dann würde meine potentielle Kundschaft draußen den Anblick sicher zu schätzen wissen, zumal er farblich so gut zu Claras künstlichen Osterglocken passte.
»Was kann ich dir bringen? Coco chaud? Kaffee? Ähm, citron pressé?« Ich hatte keine Ahnung, ob wir Zitronen überhaupt vorrätig hatten, aber das Getränk würde zumindest gut zu ihr passen.
Als Antwort öffnete Trudie ihre Tasche und zog ein Gazetütchen heraus, an dessen Ende ein Stück Faden befestigt war.
»Ich habe meinen eignen Tisane-Tee mitgebracht. Ginseng und Gingko. Habt ihr heißes Wasser?
»Trudie! Wie sieht das denn aus, wenn die Gäste in einem Café ihre eigenen Teebeutel mitbringen?« Ich sah mich schnell um, ob die Dame bei den Lutschern dieses skandalöse Verhalten mitbekommen hatte.
»Tut mir leid, meine Liebe, aber ich bin nicht davon ausgegangen, dass ihr meine Marke habt. Aber Lola trinkt sicher eine heiße Schokolade. Ich glaube, sie ist noch zu jung, um Orangenhaut zu kriegen«, erklärte sie mit einem arglosen Lächeln. »Wo ist denn die alte Schachtel?«
»Clara?Die habe ich nach hinten verbannt. Wenn du ganz genau hinhörst, kannst du sie knurren hören«, scherzte ich und richtete mich hastig auf, als ich sah, dass die Lolli-Frau endlich ihre Entscheidung gefällt hatte. Dieses Cafe-Geschäft würde ganz schön hektisch werden.
Als wir schließlich nach gefühlten hundert Jahren nach Hause kamen, taten mir die Füße weh, und mein Kopf brummte von dem stundenlangen belanglosen Geschnatter, von dem Trudie einen großen Anteil allein bestritten hatte. Doch immerhin hatte ich eimerweise Pralinen verkauft, Hunderte Tassen Tee und Kaffee gekocht, und die Kinder hatten neue Freunde gefunden. Trudie war tapfer den ganzen Nachmittag geblieben und hatte in einer Runde britischer Gattinnen Hof gehalten. Als sie schließlich ging, versicherte sie mir, wie sehr sie sich amüsiert habe. Gegessen hatte sie natürlich nichts, sondern nur einige Tassen ihres Gingkogebräus inhaliert, bis ich schließlich versprochen hatte, dieselbe Marke anzuschaffen, damit sie die perfekte Form ihres Louis-Vuitton-Täschchens nicht mit Teebeutelbeulen verunstaltete. So viel Spaß hatte ich seit Jahren nicht mehr gehabt – eigentlich seit meinen Anfängen bei den News, als ich Lou und Pete kennenlernte und London uns zu Füßen lag. Lange bevor Tom auf der Bildfläche aufgetaucht war, von Jane Champion und Denises abscheulicher Tochter ganz zu schweigen, und lange bevor meine Kinder zur Welt gekommen waren. Nicht, dass ich deren Geburt je auch nur eine Nanosekunde lang bereut hätte, aber es war trotzdem ein tolles Gefühl, sich in etwas Neues zu stürzen. Tief in meinen gutgepolstertenKnochen spürte ich, dass das Café ein Erfolg werden konnte. Ja, anstrengend würde es natürlich werden, doch ich hatte keinen Zweifel: Mein Schokoladenplan würde aufgehen.
Als Toms Schlüssel schließlich im
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