Schokoherz
Journalisten, die ich von den Neivs kannte. Hier gab es keine Sensationsreporter. Toms neue Kollegen waren allesamt würdevolle Auslandskorrespondenten, die Artikel über vernünftige Themen wie EU-Haushaltsrichtlinien verfassten. Ich tat ihnen Unrecht – bestimmt waren sie zahm wie Kätzchen. Außerdem würde es schön sein, die Leute kennenzulernen, mit denen Tom so viel seiner Zeit verbrachte. Ich musste mir nur etwas einfallen lassen, das ich kochen konnte.
Ich widerstand der Versuchung, mich sofort an den Computer zu setzen und Google zu bemühen, doch bevor ich überhaupt Gelegenheit dazu hatte, wurde mir plötzlich klar, dass Tom mich mit keiner Silbe nach meinemTag gefragt hatte. Zugegeben, er wusste natürlich nicht, wie bedeutsam dieser Tag gewesen war, aber eben bloß, weil er sich nicht mal danach erkundigte, nicht wahr? Das war ziemlich unverzeihlich, wenn man sich's genau überlegte. Es war definitiv an der Zeit, dass Tom etwas Interesse an mir als Person zeigte, anstatt mich nur als Köchin zu benutzen, die etwas für seine neuen Kumpels zaubern würde.
»Willst du mich nicht fragen, was ich heute so gemacht habe?« Ich lehnte mich ein wenig vor, um Tom aus meiner Rückenlage heraus besser sehen zu können. Er strich sich den Pony aus den müden Augen, lächelte mich von der Seite an und schüttelte die Zeitung von gestern auf.
»Da brauch ich doch nicht zu fragen. Ich weiß ja, was du gemacht hast«, sagte er.
»Ach? Und das macht dir nichts aus?«
»Ausmachen? Warum sollte es? Ich finde es absolut klasse, dass es so gut klappt. Aber es scheint dich ganz schön zu ermüden. Dabei hätte ich gedacht, dass es nach der Arbeit bei den News eher eine Erholung sein würde.« Er sah noch einmal kurz zu mir herüber, bevor er sich in die Titelseite vertiefte.
»Erholung? Kaffee und heiße Schokolade für fünfundzwanzig Leute gleichzeitig kochen?«
»Ach, waren es so viele? Ich dachte, nur Trudie und die übliche Horde. Wie heißen sie noch gleich? Sally, Rachel? Schön, Liebling, aber übertreib es nicht«, sagte Tom und senkte dabei die Zeitung ein paar Zentimeter. Plötzlich fiel bei mir der Groschen. Er dachte, ich sei zu Hause bei den Kindern gewesen und hätte die Mädelszu einem Kaffeekränzchen eingeladen. Kurz war ich versucht, ihn eines Besseren zu belehren. Schließlich war ich mehr als nur eine Hausfrau, und das sollte er wissen. Aber Moment mal. Hatte er nicht gerade gesagt, er fände das alles »absolut klasse«? Diese Worte hatte er nicht verwendet, als wir über meine Chocolaterie-Pläne sprachen. »Absolut entsetzt« hatte es wohl eher getroffen. Vielleicht war es schlauer, wenn ich ihn über meinen neuen Job im Unklaren ließ. Natürlich nur für ein oder zwei Wochen. Bloß bis er sich ein wenig an die Vorstellung gewöhnt hatte. Ich lehnte mich zurück und gähnte laut.
»Du Arme, die haben dich echt geschafft, was?« Tom spähte wieder über den Mittelteil seiner Zeitung. »Warum gehst du nicht nach oben? Ich komme später nach.«
Ich war froh, fliehen zu können. Irgendwie war mir nicht wohl dabei, Tom anzulügen. Nun ja, »lügen« ist vielleicht zu heftig ausgedrückt. Es handelte sich eher um diese Sparsamkeit, die Beamte und Parlamentarier im Umgang mit der Wahrheit an den Tag legen. In Toms Vorstellung von meinem Alltag passte eben nur eine gewisse Menge Wahrheit hinein, wenn Sie verstehen, was ich meine. Also hatte ich ein Stückchen davon ausgeschnitten, es in seinen Umschlag gesteckt und Tom hinübergereicht. Er brauchte sich ja gar nicht mit dem Gesamtbild herumschlagen, nicht wahr? Schließlich hatte er selber genug um die Ohren. Wie viel genau, würde ich erst später herausfinden.
14
An jenem Samstag war ich schon früh auf den Beinen, obwohl meine Füße nach dem Tag im Laden immer noch etwas schmerzten. Mein Kopf und der restliche Körper jedoch waren volle Kraft voraus auf Rezeptsuche und Einkaufen für unsere kleine Soiree ausgerichtet. Zum Glück hatte Clara samstags immer geschlossen. Sie ging davon aus, dass es reichte, fünf Tage am Stück unhöflich zu den Leuten zu sein, und zog sich an den Wochenenden zurück, um neue Schokoladenkreationen zu erfinden. Ausnahmsweise war ich ganz ihrer Meinung – denn ich konnte es kaum erwarten, den Markt zu erkunden. Nichts würde mich in dieser Stadt heimischer werden lassen, als mit Kennermiene an einem Stand Tomaten zu befühlen, ganz wie eine echte Kontinentaleuropäerin. Für mich keine eingeschweißten,
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