Schokoherz
Schloss rasselte, befand ich mich in halb komatösem Zustand im Wohnzimmer. Vor mir die ungeöffnete Ausgabe der gestrigen Zeitung, meine geschwollenen Knöchel auf den Sofatisch gebettet. Nicht einmal der Fernseher lief – ich ließ lediglich wahllos Szenen meines triumphalen Nachmittags in der Chocolaterie vor meinem inneren Auge vorbeiziehen. Der Höhepunkt hatte darin bestanden, in Claras Heiligtum voll blitzender Maschinen aus rostfreiem Stahl einzudringen und ihr ein klitzekleines bisschen helfen zu dürfen. Sie hatte zwar zuerst gezetert und gequengelt, doch da sie mich brauchte, gab sie schließlich nach. Es war mein allererster Tag, und schon hatte ich eine komplette Runde Trüffel in Kakao wälzen dürfen, ehe ich hinausgeworfen wurde. Anschließend gelang es mir, die Kinder ohne Zwischenfälle ins Bett zu bringen und bei der Gutenachtgeschichte nicht selbst einzuschlafen. Dann hatte ich mich nach unten geschleppt, wo mir jegliche Energie fehlte, die für irgendeine Erwachsenentätigkeit nötig gewesen wäre. Wozu sollte ich sie auch aufbringen, wenn Tom immer so lange arbeitete. Ich hatte mich längst daran gewöhnt, dass er spät mit trotziger Miene auftauchte, meist ohne sich zu entschuldigen, so dass ich die gemütlichen Abendessen zu zweit längst aufgegeben hatte. Stattdessen half ich den Kindern dabei, ihre köstlichen Spaghetti bolognese zu vertilgen, und hielt im Kühlschrank irgendeinen interessanten belgischen,angeblich von Trappistenmönchen hergestellten Käse bereit für den Fall, dass Tom noch in diesem Jahrhundert nach Hause kam.
Womit ich nicht gerechnet hatte, war ein aufgekratzter Tom, der munter hereingeschneit kam, Schlüssel und Handy von sich warf und verkündete: »Dann wäre das also geklärt«, ganz so, als wären wir nur Augenblicke zuvor in ein Gespräch vertieft gewesen. Wenn mich nicht alles täuschte, hatten wir uns seit Tagen kaum miteinander unterhalten, und meine Beziehung zu einem Unbekannten in der Bäckerei war inniger als die zu ihm. Doch ich war so müde, dass ich kaum die Energie aufbrachte, ihn zu fragen, was denn genau geklärt sei.
»Die ganze Bande kommt morgen vorbei. Alle haben zugesagt, ist das nicht klasse?«
»Wer? Was? Wann?«, wollte ich leicht benommen wissen.
»Na, die anderen Korrespondenten. Ich dachte, es wäre an der Zeit, dass wir sie mal einladen. Erinnerst du dich nicht mehr daran, dass wir darüber gesprochen haben?«
Ich setzte mich abrupt auf. »Darüber gesprochen? Ich habe dich seit Tagen kaum gesehen. Wir haben nicht mal darüber gegrunzt.«
Einen Augenblick lang war ich ziemlich stinkig. Dann meldeten sich jedoch meine gesellschaftlichen Instinkte wie ein plötzlich auftauchendes Rettungsfloß in einem Meer aus Wut und Erschöpfung. »Na gut, vermutlich ist das toll. Wer kommt denn genau?«
Tom ratterte eine Liste von Namen herunter, die mir natürlich rein gar nichts sagten, während ich im Geist mein Repertoire an Dinnerparty-Rezepten durchging. Normalenveise reichte das aus, um meinen nie ganz gestillten Appetit zu wecken. Doch heute Abend sprang ich auf keines davon an. Englische Rezepte schienen hier in Brüssel ein wenig unpassend, sogar leicht banal. Plötzlich ging mir ein Licht auf. Ich würde einfach alles Alte über Bord werfen und etwas Neues wagen – ein belgisches Gericht aus belgischen Zutaten – nicht vorn Einheitssupermarkt, sondern vorn, wie hieß das noch gleich, den Abatoirs d'Anderlecht. Hm, der Name allein klang schon ziemlich einschüchternd. Normalerweisereichte das aus,um meinen nie ganz gestillten Appetit zu wecken. Doch heute Abend sprang
ich auf keines davon an. Englische Rezepte schienen
hier in Brüssel ein wenig unpassend, sogar leicht banal.
Plötzlich ging mir ein Licht auf. Ich würde einfach alles
Alte über Bord werfen und etwas Neues wagen ein
belgisches Gericht aus belgischen Zutaten nicht vom
Einheitssupermarkt, sondern vom, wie hieß das noch
gleich, den Abatoirs d'Anderlecht. Hm, der Name allein
klang schon ziemlich einschüchternd.
Selbst für eine geübte Köchin wie mich war es eine ziemlich mutige Entscheidung, all meinen bewährten Lieblingsmenüs den Rücken zu kehren. Das war ein bisschen so, als würde man mitten im Gefecht die Hosen runterlassen. Ich würde dort draußen stehen, völlig ungeschützt, ich und mein Essen gegen eine Horde schlingender Journalisten. Und, bei Gott, Journalisten konnten ganz schön schlingen. Aber Moment mal. Das hier war ja gar nicht die Art von
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