Schokoherz
Clara näherte sich drohend aus dem Hinterzimmer, wobei sie sich ein wenig attraktives Haarnetz vom wirren Lockenkopf streifte und sich ein Paar Gummihandschuhe abpellte. Als sie sah, dass es sich bloß um uns handelte, entspannte sie sich sichtlich. Ich eilte auf sie zu, woraufhin sie wieder alle Krallen ausfuhr.
»Bah! Wo wollen Sie hin?«
»Ich wollte bloß ein paar Spielsachen für die Kinder in Ihrem hinteren Raum verstauen«, erwiderte ich.
»Nein! Da geht niemand rein außer mir. Da wird die Schokolade gemacht, verstehen Sie? Da kann ich nicht jeden reinlassen.«
»Aber ich bin doch nicht irgendjemand, Clara«, protestierteich. »Und außerdem würde ich zu gerne sehen, wie Sie Ihre Pralinen machen.«
»Sie glauben, das mache ich zur Unterhaltung? Eine Show extra für Sie? Nein. Es gibt Hygienevorschriften, Lebensmittelgesetze.« Sie zeigte auf ihr zerknülltes Haarnetz. Ich war erleichtert. Wenigstens handelte es sich dabei nicht um eine Art Fashion Statement. Aber Claras Tirade ging bereits weiter. »Sie haben es sich noch nicht verdient, mir zusehen zu dürfen. Wir müssen noch viele Gespräche führen, bis Sie so weit sind. Ich weiß, Sie wollen meine Geheimnisse lernen«, sagte sie und ihre Augen wurden zu schmalen Schlitzen. Also ehrlich. Manchmal spielte sie die Verrückte dermaßen überzeugend, dass selbst ich, ihr größter Fan, unsicher wurde.
»Nun beruhigen Sie sich mal, Clara. Niemand versucht hier, Ihnen Ihre Geheimnisse zu entlocken. Ich warte gerne, bis ich es mir – wie sagten Sie – verdient habe«, versuchte ich sie zu besänftigen. »Wohin soll ich das hier solange stellen?« Ich zeigte auf die Tasche mit dem Spielzeugvorrat.
»Hier unten«, meinte Clara und wies mir ein paar freie Zentimeter des vollgestopfen Regals unter der Theke zu. Fürs Erste würde das genügen müssen, bis ich Clara an den Gedanken gewöhnt hatte, dass ich ihr nicht nur im Verkauf, sondern auch bei der Schokoladenherstellung zur Seite stand. Das würde sicherlich nicht lange dauern. Und so schwer konnte das Pralinenmachen doch auch nicht sein, oder? Schließlich kannte ich mich mit Schokoladenkuchen schon ziemlich gut aus. Ich arrangierte die Tische und Stühle neu, um einen Platz für meine Kinderecke zu schaffen.
»Waserlauben Sie sich da?«, brauste Clara wie erwartet auf. Doch das war schließlich ihre Art, und ich hatte mich noch nie davon einschüchtern lassen.
»Das ist für die Kinder – meine und die von anderen Leuten. So locken wir mehr Mütter ins Café.«
»Das ist vor allem ein Schokoladengeschäft und kein Café«, giftete Clara und funkelte mich unter ihren grauorangefarbenen Augenbrauen hervor an. Ich hielt ihrem Blick stand und fragte mich insgeheim, wann – beziehungsweise ob – ich es je wagen würde, ihr vorzuschlagen, sich mal eine Pinzette zu kaufen. »Und Mütter – wozu brauchen wir die?«
»Ganz einfach. Wer ist den ganzen Tag lang unterwegs und hat viel leere Zeit zu füllen?« »Arbeitslose. Alte Leute. Kranke. Verrückte.«
»Ja, schon, aber die haben kein Geld. Und wenn sie krank sind, sollten sie nicht draußen sein. Sie wollen den Laden doch bestimmt nicht voller arbeitsloser, al ter, kranker, verrückter Menschen haben, oder?« Clara stieß einen Laut des Abscheus hervor. Also nicht. »Aber Mütter – die haben normalerweise immer ein bisschen Geld übrig, sind auf der Suche nach einer Beschäftigung und wollen unbedingt ihre Kinder versorgt wissen. Presto, Chocolat Chaud de Clara heißt sie willkommen!« Ich machte eine einladende Armbewegung, als die Ladentür aufging und eine Frau ihren Buggy vorsichtig über die Schwelle schob. Rasch scheuchte ich Clara in ihr Heiligtum zurück und setzte ein äußerst freundliches, aber nicht übertriebenes Lächeln auf. Es funktionierte. Die Frau lächelte zurück und wagte sich, derart ermuntert, weiter vor, um mit höchster Konzentration einen Behälter mit Lollis auf einem Tisch zu inspizieren.Ich arrangierte in der Zwischenzeit Claras Auslagen neu, damit sie weniger chaotisch wirkten und die Arbeit erleichterten.
Als die Tür das nächste Mal aufging, schob sich ein bekanntes Gesicht herein: Ausgerechnet Trudie, mit der bezaubernden Lola im Schlepptau! Wie schön. Ich eilte sofort auf die beiden zu, um sie zu begrüßen, und Olli stand ebenfalls auf und führte Lola wie der geborene Gentleman zur Spieldecke hinüber.
»Trudie, du willst mir doch nicht erzählen, dass du etwas essen willst?«, neckte ich sie.
»Nun,
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