Schokoherz
Gefühlsleben beinahe völlig zum Stillstand gekommen war, entwickelten sich die Dinge im Topf recht erfreulich. Das Fleisch war angebraten, aber nicht verbrannt und sah köstlich braun aus. Das war der Moment, um die ganz besonderen belgischen Zutaten hinzuzufügen. Ich spurtete zum Kühlschrank, um das Bier zu holen, das ich morgens hineingestellt hatte. Nirgends zu sehen. Weg. Aber das konnte nicht sein. Außer
Langsam drehte ich mich zu Tom um. »Das Bier im Kühlschrank – wo ist das?«
»Bier?«, fragte er und widmete sich plötzlich wenig überzeugend dem akkuraten Anordnen von Nachtischlöffeln und -gabeln.
»Du hast es getrunken.« Das war keine Anschuldigung, sondern lediglich eine Feststellung. Scheiße. Offensichtlich hatte Tom, während ich den Wasserkocher entkalkt, die Mülleimer geleert und die Wäsche gewaschen hatte, mein eigens besorgtes,hundertprozentig echtes, bernsteinfarbenes belgisches Bier getrunken ... Was zum Henker sollte ich nun in den Eintopf kippen? Früher hätte ich Tom vermutlich angebrüllt, um meinen Frust und alles andere loszuwerden. Nun wuselten beziehungsweise saßen oder krabbelten da zwei sehr kleine und sehr unschuldige Zuschauer durch die Küche, die ordentlich erschrecken würden, wenn Mummy Daddy eins mit der Bratpfanne überziehen würde. Sosehr mir auch danach war. Ich begnügte mich damit, die Kühlschranktür mit einem dramatischen Zischen kalter Luft zuzuknallen, und dachte scharf nach. Bier. Hatten. die Umzugsmänner nicht den kompletten Inhalt unserer Garage eingepackt, obwohl alles darin den Nachbarn versprochen gewesen war? Und hatten dort nicht einige uralte Flaschen Guinness vor sich hin geschimmelt? Sie waren von meinem ständig durstigen Ehemann nur deshalb verschont worden, weil er schlicht und einfach kein Guinness mochte. Ich drehte die Herdplatte runter, zog Schuhe an, warf Tom einen bitterbösen Blick zu und eilte in die neue Garage hinaus. Die Umzugsmänner hatten nach einer einfachen, primitiven Logik gehandelt: Wenn der Inhalt einer Kiste aus Bad oder Schlafzimmer stammte, hatten sie selbige im neuen Haus wieder in Bad oder Schlafzimmer getragen. Also sollte sich die Garagenkiste auch in der Garage befinden. Zum Glück tat sie das, inklusive der liebevoll in Luftpolsterfolie gewickelten staubigen Bierflaschen. Ich kehrte mit meinen. Schätzen im Arm zurück und schenkte Oliver die Folie, damit er darauf herumhüpfen konnte. Er liebte es, die kleinen Luftblasen platzen zu lassen. Ich wusste genau, wessen Luftpolster ich gerne platzen lassen würde. Stattdessen leerte ich das Bier in den Topf, rührte wilddarin herum und drehte die Hitze wieder hoch. Belgisch, irisch – hoffentlich würde es keinen allzu großen Unterschied machen. Außerdem hatte ich ja noch eine geheime Zutat in der Hinterhand: belgisches Gewürzbrot, beziehungsweise pain d'épice weiches, – goldenes Brot, das eigentlich eher Kuchen als Brot war, und jede Menge Zimt und Nelken enthielt. Das Rezept verlangte nach sage und schreibe sechs, in kleine Stücke gezupften Scheiben davon. Ich gab es zur Fleisch-Bier-Mischung, fügte noch etwas Lorbeer und einige Thymianzweige hinzu, dann noch etwas Brühe, und schließlich durfte das Ganze vor sich hin köcheln, um sämig und köstlich zu werden, was laut Rezept etwa drei Stunden dauern würde. Schon jetzt roch es göttlich.
Hatte es irgendeinen Sinn, das Gespräch mit Tom zu suchen, bevor die Gäste kamen? Er war klammheimlich verschwunden, während ich mich um den Eintopf gekümmert hatte. Also räumte ich die Küche auf und begab mich dann auf die Suche nach ihm. Ich fand ihn tief über sein Laptop gebeugt im Wohnzimmer, wo er sämtliche Sessel und das Sofa mit Papierstapeln belegt hatte, so dass die Kinder am Rand des Raumes spielen mussten. Ich seufzte. Das schien ich in letzter Zeit ziemlich häufig zu tun. Irgendwie fand ich keine Worte für das, was ich Tom sagen wollte. Solange sich das alles nur unausgesprochen in meinem Kopf befand, war diese schleichende Unzufriedenheit vielleicht doch nicht echt. Stattdessen sagte ich: »Kommt, ihr zwei Mäuse, gehen wir ein bisschen an die frische Luft.« Ich schnappte mir Maddie und packte sie in den Buggy. Ein kleiner Spaziergang würde uns sicher den Kopf freipusten und mich wieder normal denken lassen. Olli war begeistert,sich bewegen zu dürfen, und wir steuerten direkt unseren Lieblingspark an. Er war zwar klein, lag aber bloß ein paar Straßen weiter und hatte zwei Schaukeln, eine
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