Schokoherz
gut.
Wieder draußen, klapperte ich die Obst-und Gemüsestände ab, bewunderte den Perlmuttglanz der Zwiebeln und genoss die Tatsache, dass ich Auberginen aus Sizilien kaufen konnte, die aussahen wie blasse violette Fußbälle. Ein Standbesitzer schnitt für mich sogar eine ganze Melone auf, um mir einen schmalen Schnitz zu reichen. Außerdem labte ich mich an Probierhäppchen von Ananas, Papaya und Orangen, während ich herumspazierte und meine Sammlung an Fundstücken stetig wuchs. Ich hätte schwören können, dass meine Arme ein gutes Stück länger waren, als ich schließlich wieder am Auto ankam, aber innerlich sang ich vor Freude über mein so durch und durch belgisches Einkaufserlebnis.
Den Nachmittag verbrachte ich, wie ich es am liebsten tat, in der Küche, dem Herzen des Hauses, während die Kinder zu meinen Füßen spielten. Ich weiß, die meisten Mütter macht das wahnsinnig, wenn sie den Nachwuchs beschäftigen müssen, während sie mitten inder Zubereitung einer schwierigen Soße stecken, aber ich genoss durch die Gesellschaft meiner Kleinen das Kochen irgendwie noch mehr. Tom versteckte sich in irgendeiner Ecke des Hauses und tat der Himmel weiß was – wie zurzeit anscheinend fast immer.
Er verbrachte Stunden vor dem Laptop, als starre er auf der Suche nach einer entscheidenden Antwort in eine Kristallkugel. Er las den Economist, als hinge sein Leben davon ab. Er tippte in sein Handy. Er befand sich in einer anderen Welt. In Wirklichkeit wusste er wohl einfach nicht so recht, wie er am Familienleben teilnehmen sollte, so traurig das klingt. Seine Mutter war eine Respektsperson erster Güte gewesen. Tom konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie es war, selbst Kind zu sein, und nun hatte er keine Ahnung, wie er mit seinen eigenen Kindern spielen sollte. Ich dachte lange Zeit, es läge mal wieder an dem berüchtigten Jahrzehnt – schließlich weigerten sich manche Väter aus Toms Generation sogar, eine Windel zu wechseln – doch inzwischen war ich mir nicht mehr so sicher. Der Bäckerei-Geschäftsmann zum Beispiel sah auch nicht viel jünger aus, und ich würde wetten, dass er in der Lage war, am Wochenende mit seinen Jungs ein bisschen Fußball zu spielen. Denn genau das hätte unserem kleinen Olli gutgetan, statt auf dem Küchenfußboden mit heruntergefallenen Karotten zu spielen, während ich liebevoll Fleischstücke in gewürztem Mehl wendete und sie dann nach und nach für den Hauptgang des Abends, carbonades flamanden des, anbräunte.
Der Gedanke an den Geschäftsmann brachte wie immer meine Wangen zum Glühen, was überhaupt nichts mit seiner potentiellen Kinderliebe zu tun hatte – zumindestnicht mit Ballspielen. War es denn in Ordnung, fragte ich mich erneut, so viel Zeit mit Tagträumen über einen Fremden zu verbringen? Hieß das womöglich, dass ich – o Schreck – von Tom genug hatte? Und falls das stimmte, was zum Teufel würde ich dagegen unternehmen?
Ich beruhigte mich, indem ich noch mehr Fleischbrocken im Mehl hin und her rollte. Es war doch nur eine kleine Verknalltheit, nichts weiter. Das würde bald vorübergehen. Natürlich würde es das. Und ich liebte Tom nach wie vor. Oder? Was gab es da auch nicht zu lieben? Er unterstützte mich schließlich in allem, was ich tat, nicht wahr? Eine leise Stimme in mir erinnerte mich an den neuen Job, den ich ihm gegenüber nicht zu erwähnen wagte. Und den einen oder anderen gemeinen Kommentar zu meiner Entlassung. Und seine Schwerfälligkeit, als es darum ging, London zu verlassen ... Okay, es gab zwischen uns vielleicht ein oder zwei, äh, Problemchen. Doch zumindest unterstützte er mich finanziell, oder? Bis der Laden richtig lief. Clara konnte es sich kaum leisten, mir auch nur einen Cent zu zahlen – obwohl ich nichts dagegen einzuwenden hatte, in Kaffeebohnen mit Schokoüberzug entlohnt zu werden, falls ihr das besser passte.
Ich schüttelte diesen angenehmen Gedanken ab und dachte ernsthaft nach. Tom hielt mich über Wasser. Plötzlich konnte ich den Tag kaum erwarten, an dem das Geschäft erfolgreich genug war, um mir meine Unabhängigkeit zurückzugeben. Es würde sich gut anfühlen, eigenes Geld zu verdienen. Ich war zwar nicht der Typ Frau, der eine Million doofer Handtaschen brauchte – die Mode und ich hielten voneinander einen respektvollenAbstand – doch es wäre schön, ein kleines finanzielles Polster zu besitzen, um meine eigenen Entscheidungen treffen zu können. Angenommen, ich sollte je beschließen, Tom zu
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