Schokoherz
Mund voll Florentiner oder Claras kleinen, in Folie eingewickelten Giandujas den Kaffee servieren. Zudem – und ich kann kaum fassen, dass ich das denke, geschweige denn aufschreibe – ließ der Reiz von Schokolade langsam nach. Schließlich tat ich mehrere Stunden täglich nichts anderes, als Schokolade zu riechen, zu sortieren, abzuwiegen und zu verkaufen. Ich will nicht behaupten, dass sie dadurch alltäglich wurde, aber zumindest ein kleines bisschen weniger aufregend als zuvor.
Außerdem wurde ich – und darauf war Clara besonders stolz – wählerischer. Ich war immer ein Vollmilchmädchen gewesen. Sie kennen ja meine Vorliebe fürCadbury-Vollmilchschokolade. Die war für mich das tägliche Brot gewesen, der Geschmack, an dem sich alles andere messen musste. Nun halten Sie sich fest: Das hatte sich geändert. Seit jenem Geschmackstest für den undankbaren Tom, bei dem mir klar wurde, dass Côte d'Or etwas besaß, das der englischen Dairy Milk völlig abging, hatte ich mich tatsächlich rasch und mit Begeisterung der dunklen Schokolade verschrieben. Ja, inzwischen war sie mir sogar am liebsten, und das nicht nur, weil sie angeblich fürs Herz und die schlanke Linie am besten war. Das war für mich kein Argument, wann hätte ich mich schon von solchen Dingen beeinflussen lassen? Nein, für mich sprach die Kakaobohne einfach direkter aus der dunklen Schokolade. In den Vollmilchvarianten schien mir ihre Stimme inzwischen unterdrückt, verwässert. Dunkle Schokolade sang eine Arie für meine Geschmacksnerven.
Als Belgierin und Chocolatière mit Leib und Seele freute sich Clara natürlich mächtig über diesen Sinneswandel, gegen den ich mich so lange wie möglich sträubte, weil ich nicht zugeben wollte, dass ihr Weg der einzig wahre war. Zu Ehren meiner Bekehrung machte sie sogar extra einen ihrer berühmten Lollis für heiße Schokolade, aber diesmal aus Zartbitter, so dass ich meine Niederlage in einer himmlischen, würzigen, dunklen choco chaud ertränken konnte.
Während ich eines Spätnachmittags gerade mürrisch den letzten Stummel eines solchen Lollis in den schaumigen Milchresten meines hohen Glases herumzwirbelte, vermeldete mein Handy piepsend eine SMS. Trudie klapperte die Straße hinunter und schob die kleine Lola in ihrem hypertrendigen dreirädrigen Buggy vorsich her. Meine zwei Kleinen rieben sich drüben in der Spielecke die Augen – auch für sie war es demnächst Zeit, nach Hause zu gehen. Das Café war inzwischen fast leer. Lediglich ein paar ganz hartnäckige Mütter zögerten den Aufbruch noch hinaus. Rachel zum Beispiel hockte in einer Ecke und hatte Stanley wie immer in seinem Kindersitz unter ihrem Tisch geparkt. Dieses Baby schlief wirklich mehr als ein Faultier. Ich warf einen beiläufigen Blick auf mein Handy. Vermutlich nur eine von den Mädels, die unsere Öffnungszeiten erfragten. Das kam nämlich ziemlich häufig vor. Alle, die ich bisher in Brüssel kennengelernt hatte, kamen inzwischen hierher. Amy Blair war sofort auf meinen Vorschlag eingegangen, ein paar ihrer fantastischen Skulpturen auf unserer Verkaufstheke auszustellen. Meine neuste Idee war nämlich, das Cafe als eine Art Galerie mit wechselnden Ausstellungsstücken zu nutzen. Selbst die unnahbare Claire McCormick hatte mich neulich mit der Bitte angerufen, ihr ein paar Schachteln Pralinen zur Seite zu legen. Und Sally mit dem Strickpulli hatte ihren gesamten puritanischen Widerwillen gegen Schokolade, Nichtstun und Sünde über Bord geworfen und war fast so oft hier wie ich.
So sehr ich das Café auch liebte, zu dieser Tageszeit war ich einfach nur erschöpft, und ich musste ja auch noch das Abendessen für die Kinder und das Zubettbringen durchstehen. Manchmal hatte ich das Gefühl, durch dicken Sirup zu waten. In solchen Momenten ärgerte ich mich über Toms Job. Ich kam mir vor wie eine alleinerziehende Mutter – verdammt, ich war im Grunde eine alleinerziehende Mutter, noch dazu eine, die arbeitete.
Darumerwartete ich von dieser SMS erst auch nichts, bis ich sah, von wem sie war. Pete. »Tom tolle Story – viel zu erzählen – alles Liebe, P.«.
Hm. »Tom tolle Story« Toms vielbeschworener dicker Fisch musste es also in die Zeitung geschafft haben. Obwohl es inzwischen fast halb sechs war, hatte ich den Artikel noch nicht gesehen, und auch keine der Mütter hatte etwas erwähnt. Wir verließen uns alle darauf, dass unsere Ehemänner abends die Zeitung nach Hause brachten, zumindest diejenigen unter uns,
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