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Schokoherz

Schokoherz

Titel: Schokoherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Castle
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massenhaft Zeit. Daher war sie seiner Ansicht nach der ideale Kandidat, um alle ein bisschen an die frische Luft in den Park zu schleppen.
    »Es wird mich umbringen«, jammerte ich mit schwacher Stimme, da das Sprechen schmerzte. Gedämpfte Hilferufe sind aber nun mal nicht besonders wirkungsvoll, und so kämpften wir uns wenige Minuten später die Straße entlang wie Plastiktüten durch den Windkanal. Anscheinend waren wir nicht die Einzigen, die gestern Abend aktiv gewesen waren. Der Rinnstein war voll leuchtend gelber Plastikschachteln, die einst Kebab vom Toxic Jock's Shop beherbergt hatten. Ich konnte nur ahnen, wie schrecklich sich die Leute jetzt fühlten, die den gegessen hatten. Man musste schon eine annähernd tödliche Promillezahl haben, um einen Kebab füir eine halbwegs gute Idee zu halten. Louise hatte vor ein paar Wochen einen gegessen und sich den ganzen Tag übergeben. Seltsamerweise ging es mir beim Anblick von so viel Unvernunft gleich besser. Ich hatte zwarmein Hirn grausam dehydriert, aber wenigstens nichts Schlimmeres als Rüben gegessen. So richtete ich mich über den Griffen des Doppelbuggys auf und schob ihn mit neuerwachten Kräften. Zwanzig Minuten später erreichten wir den Park und konnten den Wagen im Schutz eines Baumes abstellen. Einen Moment später waren wir endlich bei den Schaukeln, die feucht und verlassen vor sich hin baumelten. Danach sahen wir den Enten zu. Olli bewunderte ihre Schwimmkünste, ich beneidete sie glühend um ihre Daunen.. Madeleine fuchtelte wie wild Richtung Himmel. Später, als ich vor Kälte kein Gefühl mehr in meinen Beinen hatte, ganz zu schweigen von meinen Zehen, Knöcheln oder Knien, verkündete ich, dass es Zeit war, nach Hause zu gehen.
    Ich muss zugeben, dass ich mich nach unserem Spaziergang frischer fühlte. Jetzt konnte ich mich wieder besser konzentrieren und war auch geneigter, die Woche, die vor mir lag, gedanklich in Angriff zu nehmen. Der höllische Kater war auf dem Rückzug. Ich hatte sogar kurz über Toms Ausfall vom Vorabend nachgedacht und ihn als alkoholisierten Ausrutscher abgehakt. Niemand liebte seine Familie mehr als Tom, da war ich mir ganz sicher. Als älterer Vater konnte er nicht so spielerisch mit den Kindern umgehen wie ich. Man musste eben Zugeständnisse machen. Trotzdem wurmte es mich. Ich hatte ihn eigentlich auf Jane Champion ansprechen wollen, um gemeinsam mit ihm zu überlegen, wie ich das Gespräch anlegen sollte. Das machten wir beide ab und zu vor wichtigen Storys. Und er hatte als Journalist einfach so viel mehr Erfahrung als ich, besonders in diesem Bereich. Er hätte bestimmtein paar tolle Tipps. Aber ich beschloss, es zu lassen, nachdem er am Abend zuvor so taktlos gewesen war.
    Als wir vom Spielplatz zurückkamen, hatte sich Tom in sein Arbeitszimmer zurückgezogen, um zu schreiben – oder, wie ich argwöhnte, um ein Nickerchen zu machen. Deshalb verfrachtete ich die Kinder wieder aufs Sofa vors Video. Ich stellte den Ton ganz leise, während ich alte Artikel über Jane Champion durchsah. Die Sachen hatte ich am Freitag noch schnell ausgedruckt – bin ich nicht tüchtig? – und jetzt kam ich endlich dazu, mir all das anzulesen, was der Rest der Welt bereits über unsere neue Innenministerin wusste.
    Wie ein kleiner Fußsoldat im Ersten Weltkrieg hatte Champion bis zum letzten Jahr als Hinterbänklerin gedient. Dann brachen auf einmal die Karrieren ihrer berühmteren Kollegen in sich zusammen, was ihre Partei auf feindliche Angriffe schob (Zeitungen wie die, für die ich arbeitete, waren für sie der wirkliche Feind, weil sie die Wahrheit über Politiker druckten). Jeder andere allerdings führte den Kollaps auf die Hybris, Gier und Dummheit der Parlamentarier zurück. Und so kam es, dass Jane in der einen Minute noch in einem schmuddeligen Gemeindesaal in ihrem Wahlbezirk saß und sich Interesse für die Anliegen ihrer Wähler wie Renten und Sozialwohnungen abringen musste und in der nächsten schon »Junior Minister« war. Von da an ging es steil bergauf, und sie war öfter in Downing Street Nr. 10 anzutreffen als der Premierminister selbst. Außerdem war sie ständig im Fernsehen. Zu guter Letzt ertappte man den früheren Innenminister überraschend dabei, wie er denVisumsantrag seiner Freundin zu beschleunigen versuchte, und prompt kassierte Jane Champion seinen Job. Es blieb zu fragen, ob sie es aus eigener Kraft so weit geschafft hätte oder ob sie ihre Position ausschließlich dem Missgeschick anderer

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