Schokoherz
gerührt. In diesem Moment kam Gemma angetrabt. »Mum, ich habe tolle Zitate zu der Trennung von Streetwise. Du wirst begeistert – «
»Um Himmels willen, Gemma, lass mich damit in Ruhe. Das ist Schnee von gestern. Der ganze Star war voll davon und außerdem stand es auf Seite fünfzehn in der Sun. Siehst du nicht, dass ich an einer wichtigen Sache dran bin?«
Gemma wurde ohne Umstände zur Seite geschoben, als der stellvertretende Feuilletonchef, ein großer, ehrgeiziger Typ namens Darren Norris, neben Denise auftauchte. »Also, Darren, schreiben Sie mit, und dann schnell zum Layout! Champion ist selbstverständlich auf der Titelseite. Dann brauchen wir noch die Seiten drei, vier und fünf. Den Mittelteil können wir kippen. Wir bringen ein großes Foto von Champion an ihrem Hochzeitstag.Außerdem kleine Bildchen von anderen Promis, die schwanger geheiratet haben, ich denke da an Jordan, Britney Spears und vielleicht noch jemanden von Big Brother. Pete, kommen Sie schnell. Und Louise, hören Sie auf zu telefonieren! An die Arbeit! Und Gemma ...«
Gemma sah ihre Mutter erwartungsvoll an. Das war ihre Chance, bei der größten Story, die sie je erlebt hatte, mitzuhelfen. »Ja, Mum?«, stieß sie mit unverstellter, schmerzhafter Begeisterung hervor.
»Hol mir einen Kaffee. Schwarz. Beeil dich!«
Gemma verzog sich. Armes Ding. Sie tat mir leid. Aber ich musste mich wieder an die Arbeit machen. Ich rieb mir mit einer Hand über die Augen und dachte an Jane Champions Reaktion, als sie heute begriffen hatte, dass sie nun für alle Ewigkeit in einem Atemzug mit Jordan und Britney Spears genannt werden würde. Sobald einmal ein Artikel, wie ihn Denise gerade plante, erschienen und auf der ganzen Welt archiviert worden war, hieß das, dass jedes Mal, wenn jemand den Namen Jane Champion recherchierte, auch Jordan und Britney Spears auftauchen würden. Da halfen ihr dann auch ihr Abschluss in Oxford, ihr jahrelanges soziales Engagement und ihr mühsamer Aufstieg durch die politischen Institutionen nichts. Ab morgen konnte sie sich vom schmierigen Sumpf der Politik verabschieden und meinetwegen Kaffee servieren.
Denise hatte recht. Ich durfte mir deswegen keine Gedanken machen, ich musste meinen Kopf klar bekommen und endlich anfangen zu schreiben. Die Zeit lief mir davon, und mein Bildschirm war immer noch leer. Ich seufzte und kramte Block, Kugelschreiber und Auf nahmegerätheraus. Obwohl mein Magen hungrig knurrte, war im Moment nicht mal an ein Sandwich zu denken. Ich brachte es nicht übers Herz, Gemma um eines zu bitten, als sie mit dem Kaffee für Denise zurückkam. Ich würde tapfer bleiben müssen und hoffen, dass ich nicht irgendwann entkräftet vom Stuhl sackte. Gut. Also los! Die Einleitung, den entscheidenden Teil, hatte ich trotz Gemmas Geschnatter bereits im Taxi gedanklich formuliert, so dass ich diesen Abschnitt in null Komma nix geschrieben hatte. Sehr gut. Anschließend konnte ich eine ganze Menge Fakten direkt aus Jane Champions Lebenslauf übernehmen. Dann ging ich auf ihre tiefe Religiosität und moralischen Überzeugungen ein. Es war leicht, an dieser Stelle ein paar Zitate aus dem aktuellen Interview einzuflechten. Ich blätterte meinen Block durch und verwendete hier und da ein paar Details. Das Bild fügte sich wunderbar zusammen. Und jetzt kamen wir zur Problemstelle: der Killerfrage. Im Groben hatte ich das Ganze bereits gedanklich skizziert. Aber jetzt musste ich präzise sein. Wie war das noch mal gewesen? Endlich fand ich die entsprechende Seite. Ah, hier war sie! Ich hatte mir nur das Wort »Flittchen« notiert. Ehrlich gesagt war ich viel zu schockiert gewesen, um den genauen Wortlaut aufzuschreiben. Man hört schließlich nicht alle Tage, wie Politiker ihre potentiellen Wähler als »Schlampen« bezeichnen.
Es gab einmal eine Zeit, in der ich Steno perfekt beherrscht hatte – um genau zu sein, war das ein paar Tage vor und nach meiner Stenoprüfung. Ziemlich schnell war aus meinem Steno ein Gekritzel geworden, für das sich jeder Arzt geschämt hätte, ich aber konnte es perfekt entziffern. Wenn ich zusätzlich mein Aufnahmegerätlaufen hatte, dienten meine Notizen sowieso nur als Gedächtnisstütze. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie nach dem Teil mit den Flittchen gesagt hatte: »Ich war damals vielleicht tatsächlich etwas voreilig, aber wer wartet heutzutage denn noch bis zur Eheschließung?« Aber da meine Notizen an diesem Punkt – vorsichtig ausgedrückt – nicht ganz
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