Schokoherz
Nichtzutreffendes bitte streichen –, um zu den offiziellen Bürozeiten zu erscheinen. Es gab überhaupt keine Eile. Wir hatten alle Zeit der Welt.
Es war ein wunderbarer Luxus. Sobald ich den Wecker zum Schweigen gebracht hatte, kuschelte ich mich an Tom und weckte ihn mit einem liebevollen Kuss. Er hatte kaum Zeit für ein zustimmendes Murmelnoder um sein Glück zu fassen, als ein Schrei von nebenan uns schier das Blut in den Adern gefrieren ließ. Für die Kinder gab es zwar auch keinen zwingenden Grund aufzuwachen, aber das wussten sie leider nicht. Ihre biologische Uhr war auf »früh« programmiert, und ihre kleinen Bäuche waren leer. Stöhnend schlug ich die Bettdecke zurück. Sofort rollte sich Tom wieder in seine Decke und sah dabei aus wie das Michelin-Männchen, nur nicht so munter. Ich taumelte nach nebenan, um meinen Süßen einen guten Morgen zu wünschen. Als wir nach unten kletterten, sah ich die Zeitung auf dem Fußabstreifer liegen. Die News – die würde ich definitiv sofort abbestellen. Ihre Überschrift leuchtete mir entgegen: »Innenministerium beschließt nach Verleumdungsskandal neue Richtlinien für Interviews«. Schnell sah ich wieder weg. Komisch, wie wenig mich das Ganze interessierte. Gestern noch wollte ich mich unbedingt verteidigen und um jeden Preis zurück in meinen Beruf. Inzwischen hatte ein neues Kapitel in meinem Leben begonnen, und alles andere schien furchtbar lange her zu sein. In den letzten vierundzwanzig Stunden war ich sehr viel erwachsener geworden.
Das Wetter draußen sah ziemlich grau aus, als ich die schweren Küchenvorhänge zur Seite schob und den Blick auf unseren Rasenfleck frei machte, der seit Olivers Bemühungen gestern Nachmittag mit Rhododendronpartikeln geschmückt war. Ich schaltete alle Lichter ein, um die winterliche Finsternis zu vertreiben, und machte mich daran, für meine Kleinen und meinen Mann einen guten, herzhaften Haferbrei zuzubereiten,über den ich Sirup löffelte. Das flüssige Gold, das von meinem Löffel lief, faszinierte mich wie das Milchmädchen von Vermeer. Doch plötzlich fiel mir mein Job wieder ein, und meine Hand zitterte unwillkürlich. Unschön kleckerte der goldene Strom außen an der Schüssel entlang und auf meinen Morgenmantel. Die Illusion der Unendlichkeit war zerbrochen. Ich hatte gedacht, mein Beruf würde ewig bleiben, wie er war. Immerhin hatte ich zwei Schwangerschaften und zwei Elternzeiten überstanden, was in meiner Branche noch nie vorgekommen war, und nun gab es ausgerechnet jetzt so ein dickes Ende.
Zum Glück erschien Tom in der Küchentür, und meine Trostlosigkeit verschwand. Sein Haar stand am Hinterkopf wild ab. Erstaunt sah er den Haferbrei an – er war mehr der Obstsalat-Frühstücker – aber er aß ihn pflichtbewusst und kommentarlos auf, warf mir dabei nur hin und wieder etwas seltsame Blicke zu. Ich merkte, dass er mich mit äußerster Vorsicht behandelte, wie einen verdächtigen Koffer, der jederzeit explodieren und ihm den Kopf abreißen könnte. Aber das passte mir im Moment ehrlich gesagt ganz gut. Mein Leben war in letzter Zeit so voller Höhen und Tiefen gewesen, dass ich mir meiner selbst nicht mehr sicher sein konnte.
Bald bedachte er uns alle mit einem Kuss im Vorbeigehen und ließ seine Schüssel in die Spüle gleiten. Ich hatte ganz vergessen, dass Haferbrei einen entscheidenden Nachteil hat – dass er nämlich trotz seiner wundervollen cholesterinreduzierenden, sättigenden, wärmenden Eigenschaften gleichzeitig das Zeug war, mit dem man Tapeten ankleben konnte. Ich schrubbte eine ganze Minute lang, bis ich beschloss, nicht die Heldin zuspielen, die Schüsseln mit Wasser füllte und einweichen ließ. Immerhin hatte ich eine wichtige Mission zu erfüllen.
Während der stillen Stunden, die ich in der Nacht wach gelegen war, hatte ich beschlossen, dass ich als professionelle Informationssammlerin, na gut, gefeuerte ehemalige Journalistin, die Pflicht hatte, mir möglichst viele Infos über Brüssel zu beschaffen. Daher würden wir einen kleinen Ausflug in unsere Buchhandlung unternehmen, die glücklicherweise eine Abteilung mit Reiseführern hatte. Dort würden wir das Regal über Belgien leer räumen. Außerdem – und das war vielleicht fast genauso wichtig (Wem wollte ich etwas vormachen? Es war mindestens vierzehnmal so wichtig.) – würde ich mir wunderschöne Bildbände über belgische Schokolade besorgen. Mmh, das war für mich wie Porno gucken.
Voll motiviert tanzte ich durchs
Weitere Kostenlose Bücher