Schokoherz
bereits zu viel gesagt hatte. Viel zu viel. Zu meinem Entsetzen kam eine Frau auf mich zu, die unverkennbar eine Pickfords-Uniform trug. Sie hatte eine Pickfords-Tasche bei sich und reichte mir einen Pickfords-Umschlag.
»Ich bin Mrs Reynolds, Mrs Richardson. Das sind die Informationen zu Ihrer Anfrage für einen Umzug nach Brüssel. Da ich in der Gegend war, dachte ich, ich bringe sie gleich vorbei, da Sie sagten, es sei dringend. Ich wusste ja nicht, dass Sie – äh – beschäftigt sind«, erklärte sie. Die Journalisten waren totenstill geworden, um besser mithören zu können, und lächelten zufrieden in sich hinein. Die gute Mrs Reynolds von Pickfords war offensichtlich der einzige Mensch auf Erden, der von meinem Schlamassel weder gehört noch gelesen hatte. Mit einem gemurmelten »Danke« riss ich ihr den Umschlag aus der Hand, lief durch den Vorgarten zurück, sperrte hastig die Tür auf, schob die Kinder ins Haus und flüchtete mich hinter dem Doppelbuggy in dieDiele. Die Kinder sahen mich erstaunt an. An seltsames Verhalten von Erwachsenen waren sie nicht gewöhnt. Normalerweise bedeutete ein Spaziergang, auch wirklich spazieren zu gehen und nicht nur einen Ausflug den Gartenweg entlang und wieder zurück. Außerdem hatte ihnen die Begegnung mit den netten Journalisten gefallen. Ich schälte sie aus ihrer warmen Kleidung und ließ ihnen freien Lauf, während ich ins Wohnzimmer raste und vorsichtig den Vorhang ein winziges Stück zur Seite schob, was eine Salve von Blitzen auslöste. Und ich hatte gedacht, sie wären alle am Telefonieren, um ihre Redakteure zu informieren. Ich schlug mir mit der flachen Hand an die Stirn. Mistkerle. Wann würde ich es endlich lernen?
Schweren Herzens rief ich Tom an. Ich musste ihn unbedingt warnen. Im Moment sah ich zwar keine pelzigen Mikrophone, die auf Fernsehleute hingedeutet hätten. Aber wenn ein überdurchschnittlich unternehmungslustiger Reporter einen Fernsehsender informierte, dann wäre diese Nachricht sofort im ganzen Land verbreitet. Vierundzwanzig Stunden nach meiner Kündigung sollte meine Story eigentlich dem Tod geweiht sein. Die Chancen hatten gut gestanden, dass alle bald das Interesse verlieren und ihre Aufmerksamkeit anderen Dingen zuwenden würden. Aber jetzt, wo ich das Land verließ, eröffnete das der Presse ein weites Feld für Spekulationen. Es kam Bewegung in die Dinge. Ich war zur Eilmeldung geworden. Und – das wusste ich schließlich nur zu gut – sie würden es voll ausschöpfen: Endlose Spekulationen, ob man mich außer Landes gejagt hatte, ob wir ins Exil gingen, ob uns die Re gierungzum Gehen zwang. Ich sah die Schlagzeilen förmlich vor mir. Es war entscheidend, dass Tom sich die Stelle in Brüssel sicherte, ehe publik wurde, dass wir dorthin ziehen würden. Sonst konnte es passieren, dass wir plötzlich beide arbeitslos waren. Kein Auslandschef ließ sich gerne zu einer derart öffentlichen Stellenbesetzung zwingen.
Er ging beim ersten Läuten ran, und ich begann sogleich mit meiner Geschichte. »Also, äh, ich bin's. Tom, es ist etwas passiert, aber hör mir gut zu, es war nicht meine Schuld.« Ich hörte, wie Tom nach Luft schnappte, aber ich redete einfach weiter. »Und sie haben alle den erstaunlichsten Unsinn gerufen und behauptet, dass ich alleinerziehend und alles ein abgekartetes Spiel sei. Außerdem hat jemand gesagt, du hättest eine Affäre mit Jane Champion und ich hätte das Zitat nur erfunden, um mich an ihr zu rächen. Stell dir so was vor!« Ich konnte mir ein verächtliches Schnauben nicht verkneifen. »Und deswegen ist es mir herausgerutscht
»Was?Was ist dir herausgerutscht?« Tom klang schrecklich besorgt. Ich zwang mich weiterzureden.
»Also, ich hab ... die Sache mit Brüssel erwähnt. Weißt du, dass wir wegziehen ... und all das ...« Selbst in meinen Ohren war das eine ausgesprochen lahme Rechtfertigung. Am anderen Ende herrschte Totenstille. »Tom? Tom! Bist du noch da?«
»Jaja, ich bin noch da.« Er verfiel wieder in Schweigen. Dann hörte ich einen Seufzer: Er schien ganz tief unten, an den Sohlen seiner glänzenden schwarzen Schuhe zu entspringen, den Weg durch seinen untadelig gekleideten Körper zu nehmen, vorbei an seinem hüb schenblassrosa Hemd, und durch sein Gesicht zu entweichen, das vor meinem geistigen Auge in den letzten Sekunden um Jahre gealtert war. Scham überfiel mich wie ein plötzlicher Juckreiz.
»Tom, es tut mir so leid. Ich wollte dich wirklich nicht in diese Situation
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