Schokoherz
später linste ich ins erste Schaufenster, während die Kinder weiterhin friedlich schlummerten. Dieses hier war als Boudoir dekoriert, ganz so, als sei eine glückliche Dame gerade hinausgeschwebt, eine Spur spinnwebengleicher Häkeltops, rauschender Seidenröcke und perlenbestickter Schuhe hinterlassend. Himmlisch. Seufzend wanderte ich ein Fenster weiter, wo mich eine Reihe von Schaufensterpuppenköpfen erwartete. Sie erinnerten mich ein wenig an jene körperlosen Barbies, an denen man als Kind Frisuren und Make-up ausprobieren konnte, wenn diese hier auch Millionen Mal edler und aus Porzellan statt Plastik waren. Um jeden bezaubernden blassen Porzellanhals war fantastischer Kristallschmuck geschlungen, so zart, als sei er gerade erst von Feen gesponnen worden. jeder Ring, jedes Armband blinzelte mir kokett zu, während die Köpfe heiter vor sich hin lächelten. Eins weiter befand sich ein Geschäft, dem man den Look einer altmodischen Apotheke verpasst hatte: reihenweise gläserne Duftfläschchen mit handgemachten Parfums in tausend Schattierungen zwischen Bernsteinbraun, Orange und Hellgrün. Als ich an der Tür vorbeiging, konnte ich das köstliche Aroma von Mandarinen und Vanille erschnuppern.Warumich nicht in einen dieser Läden hineingegangen bin? Warum ich nicht einfach alles gekauft habe? Nun, aus zwei Gründen. Erstens war alles astronomisch teuer. Durch die Umrechnung von Pfund in Euro schien mir selbst der Kauf einer Flasche Milch eine erschreckend gewichtige Anschaffung. Und Glasschmuck war geradezu kriminell teuer. Da mein Gehalt und ich kürzlich auf solch grausame Weise voneinander getrennt worden waren, fühlte ich mich nicht in der Lage, mir etwas zu gönnen. Zweitens waren all diese Kleidungsstücke so winzig, dass selbst ein so zartes Persönchen wie Trudie daneben wie ein Vorher-Bild aus einer Weight-Watchers-Annonce gewirkt hätte. Die Frauen in Brüssel schienen allesamt ziemlich dürre Gerippe zu sein. Weiß der Himmel, wieso, denn das Essen war fantastisch. In gewisser Weise musste ich froh sein, denn so sparte ich an spinnwebenartigen Häkelteilchen ein Vermögen. Was ich jedoch tun würde, wenn ich tatsächlich mal etwas zum Anziehen brauchte, blieb offen. Wahrscheinlich musste ich zehn Outfits auf einmal kaufen und sie zusammennähen – ein bisschen wie dieser Kerl in Schweigen der Lämmer. Diesem Horror würde ich mich jedoch erst stellen, wenn es sein musste. Und in der Zwischenzeit würde der filigrane Schmuck ohne die entsprechenden zarten Häkelfetzen auch nicht so gut wirken. Dieses Aschenputtel hier würde ihre Füße kaum in solch winzige Perlenschühchen zwängen können, und ich besaß bereits einen ganzen Schrank voller Düfte, also war das ebenfalls gestrichen.
Widerwillig zockelte ich weiter und dachte darüber nach, was die belgischen Frauen für seltsame Stoffwechsel haben mochten. Vielleicht konnte ich ja durch Osmoseauch so einen bekommen? Und da war schon wieder das nächste Geschäft. Ich blieb stehen. Und riss die Augen auf.
Wenn die anderen Boutiquen das Einkaufsparadies meiner Träume darstellten, dann verkörperte diese hier meinen schlimmsten Alptraum. Ich hatte das Gefühl, mit all meinen zügellosen Gelüsten auf einmal konfrontiert zu werden. Ein Wunder, dass mein Gehirn nicht auf der Stelle explodierte. Denn trotz meiner jahrelangen Erfahrung war mir etwas Derartiges noch nie untergekommen.
Das Geschäft schien sich ein wenig von den anderen abzusondern, obwohl es sich in einem Reihenhaus befand. Die Fenster waren so blank poliert, dass einem fast die Augen schmerzten. Deshalb war ich auch nicht sofort darauf zugelaufen. Doch nun, nach dem ersten Blick hinein, konnte ich mich nicht mehr losreißen. Nein, wahrscheinlich wäre ich bis in alle Ewigkeit so über den Buggy gebeugt stehen geblieben. Wenn ich meine Nase an der Scheibe hätte platt drücken können, ich hätte es getan.
Dahinter bot sich nämlich der schönste und schrecklichste aller Anblicke. Auf einem Bett aus violettem Samt, der sich in der Auslage bauschte, türmten sich, wie kurvige Kurtisanen, die sich lasziv der Öffentlichkeit darboten, Berge von Pralinen. Nicht in dichten Reihen, nicht sorgfältig gestapelt, nein, diese Pralinen purzelten und kullerten herum, blieben wie zufällig liegen, fast achtlos, wie von lässiger Hand ausgestreut. Ich wollte am liebsten sofort hineinrennen und mir alle in den Mund stopfen.
Ich hob den Blick zur Inschrift über der Ladentür: ChocolatChaud de
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