Schokolade für dich (German Edition)
das Schlimmste abgewendet hast, bist du bestimmt erleichtert“, sagte Pat.
Pat wirkte so ausgeglichen und gelassen, wie sie in ihrer Jeans, der frisch gebügelten weißen Bluse und dem grünen Blazer samt passendem Schal dasaß. Offenbar war es ihr nicht schwergefallen, sich in das Schicksal als Witwe zu ergeben. Sie war wie ein Schmetterling, der auf einer Daunendecke gelandet war.
Muriel dagegen kam sich vor wie eine Fliege, die gegen eine Windschutzscheibe geprallt war. Aber wessen Fehler war das denn? Sie hatte sich zurückgelehnt und war glücklich darüber gewesen, dass jemand anderes alles Finanzielle für sie geregelt hatte. Nie hatte sie sich Sorgen darum gemacht, woher das Geld kamund wohin es ging. Die große, kosmische Windschutzscheibe war schon seit Langem auf sie zugesteuert gekommen. Es war schon fast ein Wunder, dass sie nicht schon eher dagegengeknallt war.
„Wenn ich diesen Geldsachen doch nur mehr Aufmerksamkeit geschenkt hätte“, lamentierte sie.
„Wie heißt es so schön? Shit happens , sonst bräuchten wir keine Toiletten“, stellte Dot fest.
Olivia verzog das Gesicht. „Was soll das denn heißen?“
„Es heißt, dass alles Mögliche passieren kann“, antwortete Dot. „Man kann nicht auf alles vorbereitet sein. Auch wenn die Pfadfinder das gern behaupten.“
„Meinst du denn, dass du nach dem Verkauf des Hauses genug Geld übrig hast, um dir ein neues zu kaufen?“, wollte Olivia von Muriel wissen.
Sie wäre pleite. Also schüttelte sie den Kopf. „Ich suche mir eine nette Mietwohnung.“ Sie konnte nur hoffen, dass sie auch eine fand.
„Hier bei uns in der Stadt gibt es nicht besonders viele Wohnungen, die man mieten kann“, stellte Dot fest.
„Du könntest bei mir zur Untermiete in ein Zimmer ziehen“, bot Olivia ihr an.
Muriel hätte nie gedacht, dass sie schon bevor sie eine alte Frau in einem Pflegeheim war, nur noch ein Zimmer würde bewohnen müssen. Aber sie hatte sich auch nie vorstellen können, dass sie einmal mehr oder weniger mittellos sein würde. Selbst wenn sie ihr Haus verkauft hatte, würde ihr nur wenig Geld zum Leben zur Verfügung stehen. Wenn sie das Geld, das ihr erster Mann ihr vermacht hatte, vernünftig angelegt hätte, statt es zusammen mit Waldo mit vollen Händen auszugeben, wäre sie jetzt nicht in dieser misslichen Lage. Trotzdem, sie hatte noch Zeit, um Veränderungen anzugehen, um ihr Leben wieder erträglicher zu machen. Sie würde das Zimmer nehmen. Das war immer noch besser, als ihren Töchtern zur Last zu fallen, die alle drei nicht wirklich in der Lage waren, ihr zu helfen.
Das war das Tolle an Freunden. Sie ersparten einem so viele Demütigungen. „Danke“, murmelte sie.
„Ich habe eine andere Idee“, sagte Pat langsam. „Du könntest das Cottage mieten.“
„Dein kleines Gästehaus? Aber das nutzt du doch für Touristen“, widersprach Muriel.
„Es steht die Hälfte des Jahres leer. Ich würde mich über einen Dauermieter freuen. Sag mir einfach Bescheid, wenn du es brauchst. Ich mache dir auch ein gutes Angebot“, fügte Pat lächelnd hinzu. „Es ist klein, aber die Aussicht ist nicht zu toppen.“
Ein bezaubernder kleiner Weinberg und im Hintergrund die Berge – die Aussicht würde die Größe des Hauses mehr als wettmachen. Und auch wenn es nicht so groß war wie ihr jetziges Haus, hatte es immerhin mehr als ein Zimmer. Muriel hatte das Gefühl, als hätte man ihr eine riesige Last von den Schultern genommen. Das Haus zu verkaufen würde hart werden, aber sie konnte es schaffen. Zum ersten Mal in ihrem Leben würde sie allein wohnen und lernen, auf eigenen Füßen zu stehen. Und das war eine Lektion, für die man sogar einige Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen konnte.
„Und in der Zwischenzeit sag Bescheid, wenn du Geld brauchst“, sagte Dot.
Was hatte Muriel noch mal nicht an Dot gefallen? Sie konnte sich nicht mehr erinnern. „Danke. Ich danke euch allen.“
„Keine Ursache. Wir Mälls halten zusammen“, erklärte Dot.
Während der Abend voranschritt und die Frauen miteinander ihre Probleme und Träume besprachen, wurde Muriel immer mehr bewusst, dass sie einen riesigen Schritt getan hatte. Sie würde wieder aufleben. Nicht sofort, aber irgendwann.
Sie wünschte nur, sie könnte dasselbe auch von ihrem Familienunternehmen sagen. Das war auch alles ihre Schuld. Was sollte sie nur tun, um die Firma zu retten? Den Rest des Abends lauschte sie nur mit einem Ohr der Unterhaltung der anderen, während sie
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