Schokoladenzauber - Roman
reichte ihm die Füße des Engels und schob mir eine Flügelspitze in den Mund.
»Was denn?«
»Komm morgen mit uns in den Falling Star.«
»Weißt du eigentlich, wie spät es ist?«, wollte Jake bei meiner Heimkehr wissen. Er posierte als wütender viktorianischer Herr Papa und zwirbelte an einem unsichtbaren Bart herum. »Ich habe Kat vor einer Ewigkeit nach Hause gebracht. Wir haben übrigens den Käse aufgegessen, das ist doch in Ordnung?«
»Klar, ich kaufe morgen neuen. Ich habe bloß einen Engel überbracht. An den Vikar.«
»Man sollte meinen, dass der Vikar ein Monopol auf Engel hat«, sagte Jake gedankenvoll.
Kapitel dreiunddreißig
Angerührt …
I n jener Nacht lag ich ewig wach und ging die Geschehnisse in Gedanken immer wieder durch. Doch als ich endlich einschlief, fand ich tröstende Träume. Sie handelten alle von Engeln. Ich wurde mit dem Wunsch wach, auf den Friedhof und in die Kirche zu gehen und mir dort die Engel anzuschauen. Raffy hatte völlig recht. Es sprach nichts dagegen!
Nur weil sich Brummbart freiwillig der Verdammnis und den Höllenfeuern übereignet hatte – vorausgesetzt, Gottes Anhänger hatten überhaupt recht –, musste ihn ja nicht gleich seine gesamte Familie dorthin begleiten.
Im Cottage war es ruhig. Jake war schon früh mit Kats Eltern, die begeisterte Wanderer waren, zum Lake District aufgebrochen. Es war eine etwas kuriose Vorstellung, dass Kat und Jake in ihren klobigen Stiefeln um einen See herumstapften, aber ich hatte Jake trotzdem jede Menge ungewollter Ratschläge und Taschengeld mit auf den Weg gegeben. Brummbart war sicher auf die gleiche Idee, wenn auch auf andere Ratschläge gekommen. Jake wollte rechtzeitig zur Eröffnung des Museums wieder da sein.
Nachmittags war ich mit der ersten Menge Schokoladeneier (ich hatte weitere Formen bestellt, die am nächsten Tag per Kurier eintreffen sollten) und mit beiden Sorten Wunschschokolade fertig.
Ich hatte noch immer Schokolade in und an mir, als ich mir eine warme Jacke über die Arbeitskleidung zog und in Richtung Friedhof ging. Er war von einer ockerfarbenen Sandsteinwand umgeben, in deren Ritzen sich Blumen angesiedelt hatten.
Ich trat durch das verwitterte Tor. Dahinter wirkte alles sehr gepflegt, das Gras war gemäht, alte Gräber lagen zwischen neuen, vor allem aber hatte Raffy recht gehabt: Schon vom Tor aus konnte ich den Engel sehen, der beinahe auf ihn gefallen wäre, eine ernsthafte, asexuelle Gestalt mit fest angelegten Flügeln und einem Buch in der Hand. Seine Nase war offenbar vor Kurzem abgebrochen, aber der Engel selbst stand wieder auf seinem Podest.
Als ich mich weiter vorwagte, entdeckte ich einige kleinere Engel. Ganz besonders gefiel mir ein weißer aus Marmor in einem gefältelten Gewand, der entweder gerade ankommen oder losfliegen wollte – ein wenig wie der Engel, den mir Raffy geschenkt hatte. Es war eines der Winter-Gräber, von denen es erwartungsgemäß sehr viele gab.
Die Stimmung war friedlich, und da ich ganz alleine war, entschloss ich mich, in die Kirche zu spähen und mir das berühmte Buntglasfenster mit der Darstellung des Jüngsten Gerichts anzusehen, das sich laut Jake hinter dem Altar befand.
Ich musste durch eine alte, gewaltige Tür mit einem schweren eisernen Riegel gehen. Im Innern roch es ungewöhnlich, aber angenehm nach Blumen, Lavendelpolitur und alten Büchern, was an den Regalen voller Gebetbücher lag.
Draußen war es schon ruhig gewesen, aber hier im Innern herrschte eine vollkommene Stille; das Eintreten einer Ungläubigen hatte keine dramatischen Ereignisse ausgelöst, kein Blitz hatte mich getroffen, kein Turm war eingestürzt. Ich fühlte mich irgendwie wohlig und aufgehoben und hatte das seltene, erhebende Gefühl, ich würde in flaumig weiche Flügel geschlossen …
Ich trat näher an das Altarfenster und verlor mich in den hellen, mosaikhaften, intensiven Farben. So viel gab es hier zu sehen – oben schwermütige Engel und unten vergnügte Teufelchen, die die Menschen Monstern, Flammen oder anderen Verdammnissen übereigneten, als wäre dies ein von hinten erleuchtetes Gemälde von Hieronymus Bosch.
Und hier hatte Raffy gebetet, nachdem ich ihm von dem Baby und meiner Fehlgeburt erzählt hatte? Ob er hier Trost gefunden hatte?
Als ich schließlich wieder ins Freie trat, war das Licht harsch und grell. Raffy erwartete mich. Er saß, nicht sehr pietätvoll, auf einem Tischgrab.
»Hallo, Chloe. Ich habe dich hineingehen sehen, wollte dich
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