Schokoladenzauber - Roman
Sinne. Zillah hatte sich damit begnügen müssen, Omas Kleidung und andere persönliche Dinge einem Gartenfeuer zu übereignen.
Brummbart schien von Zillahs plötzlichem Erscheinen nicht überrascht. Es war, als hätte er sie erwartet, und vielleicht war es auch so, und seine angeblichen Zauberkräfte waren doch nicht nur ein Produkt seiner Fantasie. Zillah hatte niemals geäußert, dass sie dauerhaft bei uns bleiben wollte, aber nun war sie immer noch da, viele Jahre später, kochte, putzte und kümmerte sich um uns auf ihre eigene, etwas schluderige Art.
Sie reichte mir eine frische Tasse Tee, legte zwei Marmeladenkekse auf die Untertasse und sagte: »Würdest du das dann bitte dem Zauberer von Oz bringen, Liebes?«
»Brummbart heckt wieder etwas aus, oder?«, fragte ich und nahm ihr die Tasse ab. Obwohl mein Großvater an guten Tagen lediglich schweigsam und geheimnisvoll war, merkte ich es trotzdem jedes Mal. Ich hoffte nur, er plante nicht wieder eine große Zusammenkunft mit seinem Hexenzirkel, denn nach den Erfahrungen der letzten Male war es sehr wahrscheinlich, dass er lediglich eine beidseitige Lungenentzündung heraufbeschwören würde.
Zillah tippte sich, die Zigarette zwischen den Fingern, an die Nase, und eine kleine Ascheschlange fiel auf die Teeblätter in ihrer leeren Tasse. Hoffentlich brachte das ihre Zukunft nicht durcheinander.
Brummbart saß tatsächlich am Schreibtisch seines Arbeitszimmers über einem Grimoire, einem Buch mit magischem Wissen, und einem besonders gewagten Zauberspruch, den er vermutlich bei besserem Wetter erproben wollte. (Der Hexenzirkel zelebrierte seine Riten splitterfasernackt in einem Eichenhain, und die Mitglieder wurden nicht jünger.)
Brummbarts langes, silbergraues Haar war in der Mitte gescheitelt und wurde von einem Haarreif aus dem Gesicht gehalten, aus dem ein Paar stechend grauer Augen und eine Adlernase hervortraten. Der nachtblaue Morgenrock aus Samt war an den Ellbogen durchgescheuert, so dass mein Großvater mehr Ähnlichkeit mit einem verwahrlosten John Dee als einem Gandalf hatte, aber bei den Lesern seiner Schauerromane, die er unter dem Pseudonym Gregory Warlock schrieb, kam der Look gut an. Seine Bücher hatten sich viele Jahre lang nur mäßig verkauft, lediglich eine kleine Fangemeinde hatte Brummbart die Treue gehalten, aber seit Kurzem waren sie wieder angesagt. Die gesamte Backlist stand vor einer Neuauflage, in den ursprünglichen Umschlägen mit ihren ziemlich reißerischen Motiven.
Brummbart gehörte zu den Menschen, die ärgerlicherweise nur sehr wenig Schlaf benötigten, und wenn ich morgens bei ihm vorbeischaute, lag meist schon ein Stapel handgeschriebener Manuskripte vor ihm. Oft waren auch Briefe darunter, denn er korrespondierte mit vielen Gleichgesinnten, sprich: Verschrobenen auf der ganzen Welt, und da seine Handschrift eine Zumutung war, nahm ich alles an mich und gab es am Computer ein.
In jüngeren Jahren hatte ich Brummbart für einen Scharlatan gehalten. Wahrscheinlich können Sie sich vorstellen, wie es war, in einer Kleinstadt wie Merchester aufzuwachsen und einen Großvater zu haben, der nicht nur vollkommen durchgeknallt aussah, sondern das auch noch mit jeder Äußerung bestätigte: Zu seiner exzentrischen Gewandung kamen seine grausigen Romane und ein Standardwerk über die magische Bedeutung der Ley-Linien. (Ley-Linien sind Verbindungslinien zwischen Landmarken sowie magischen und historisch wichtigen Orten.) Wenn dann noch Gerüchte über geheimnisvolle und anstößige Riten in einem abgelegenen Wäldchen hinzukommen … Muss ich mehr sagen?
Als ich älter wurde, ging mir jedoch auf, dass er vollkommen von sich und seinem Tun überzeugt war, und von da an machte es mir nichts mehr aus: Wenn es ihm nicht peinlich war, warum sollte es mir dann etwas ausmachen?
Jetzt bahnte ich mir den Weg zu seinem Schreibtisch und stieg über Karten mit ihrem Kreuzmuster aus roten und blauen Strichen, die bekannte und mögliche neu entdeckte Ley-Linien markierten. Eine Karte raschelte, als ich versehentlich darauf trat. Das machte Brummbart auf mich aufmerksam.
»Ah, Chloe – ich glaube, ich habe die Lösung für meine monetären Probleme gefunden«, verkündete er mit seiner sonoren Stimme und in einem Tonfall, dem man die Privatschule anhörte. Er wirkte ausgesprochen selbstzufrieden. Mein Großvater ist entfernt mit einer Reihe furchtbar bedeutender, vornehmer Menschen verwandt, die ihn sämtlich ignorierten, seit er sich
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