Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schossgebete

Schossgebete

Titel: Schossgebete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Roche
Vom Netzwerk:
was sich für mich wie Verliebtheit anfühlt, eigentlich Geilheit auf andere. Das würde erklären, warum man früher, wenn dieses angebliche Verliebtsein in andere auftauchte, sofort gegangen ist und dann diesen Neuen als Partner hatte.
    Bis jetzt ist dieses neue Verliebtsein immer weggegangen. Aber ich garantiere für nichts. Ich komme mir vor, als steckte ich mitten in einem miesen Geilheitsexperiment. Ich will bei ihm bleiben. Wir sind gut zusammen, wir haben eine Patchworkfamilie, die keine weiteren Erschütterungen erträgt. Aber ich muss mal Sex mit jemand anderem haben dürfen. Im Kopf gehe ich die ganze Zeit fremd. Ich phantasiere von Sex mit fast allen Freunden, die wir haben. Ich möchte gerne voll kontrollierten Sex mit jemandem, mittlerweile fast egal, wem, nur dass diese Person mir nicht meine Familie kaputt machen soll.
    Georg telefoniert immer noch. Das ist meine Chance. Ich nehme meine Tasche, hole die Dokumente raus, schleiche runter, um sie in dem heiligen Todesschrank zu verstecken, und komme mir vor wie meine Mutter. Die hat ständig Sachen hinter dem Rücken ihrer Männer gemacht.
    »Elizabeth?«
    Fuck. Jetzt telefoniert er nicht mehr und sucht mich. Ich antworte nicht. Still bleiben, wie ein Kaninchen im Autoscheinwerferlicht.
    »Was machst du an dem Schrank da unten?«
    Ich komm aus der Nummer nicht mehr raus.
    »Jaha, hab nur kurz noch was verändert, danke der Nachfrage. Mann, lass mich in Ruhe.«
    Schlimm, wenn man zusammenwohnt, nichts darf man mal unbemerkt machen. Vor allem schlimm, wenn man erwischt wird. Er hat mich schon tausendmal gebeten, mich nicht ständig mit dem Tod zu beschäftigen, mit meinem eigenen Tod vor allem.
    Ich gehe jetzt hoch und sage ihm die Wahrheit.
    Ich nehme den Ordner und meine Papiere vom Notar mit, jetzt kann ich das auch oben verstauen. Auf dem Weg zur Couch und zu Georg schnappe ich mir noch in der Küche den Locher. »Ja, Mann, ich war grad beim Notar wegen einer Kleinigkeit, ich musste Cathrin doch enterben, weißt du? Damit du und Stefan und Liza und Max mehr kriegen. Wenn mir was passiert, und das Testament bleibt in dem alten Zustand, kriegt die ganz viel. Das geht doch nicht.«
    Ich gucke ihn an, er guckt mich sehr wütend zurück an. Er sagt nichts. Fuck, ich weiß, es gibt immer Gründe, immer habe ich Gründe für die Scheiße. Ungefähr zehnmal im Jahr hänge ich beim Notar rum, für die kleinsten Kleinigkeiten. Das Testament soll immer perfekt sein, für den Fall, dass. Und das schon seit acht Jahren. Mein Mann hält das nicht mehr lange aus. Er hat bei unserer Paartherapie gelernt, dass er mich davon abbringen soll, das versucht der jetzt, indem er mich so desillusioniert anguckt. Ja, Mann, ich gehe mir ja schon selber auf den Sack, Mann! Ich weiß das alles selber, ich kann es aber nicht lassen. Ich will nicht, dass jemand, den ich liebe, weniger bekommt, nur weil jemand, den ich nicht mehr liebe, aus Versehen noch testamentarisch bedacht wird. Diesen Gedanken finde ich unerträglich.
    Ich bin sein Sorgenkind. Hört das jemals auf? Alles, was er jetzt machen könnte, ist lächerlich, weil wir es schon so oft gemacht haben. Alles. Jede Lösung durchprobiert, nichts hilft, nichts stoppt mich in meiner Notarssucht. Weil es eine Todessucht ist. Ich habe ihm schon alle Versprechen gemacht und konnte mich nie dran halten. Nichts wirkt. Noch nicht mal Agnetha, in diesem Fall.
    »Zerreiß dein Testament für mich«, sagt Georg mit ganz ruhiger, leiser, fester Stimme zu mir.
    Was? Der spinnt ja wohl! Mein geliebtes Testament. Niemals. Meine ganzen Zusätze dafür. Nein. »Nein.«
    »Doch, du machst das jetzt. Verlass dich doch einfach auf alle, die überleben, dass die alles schon regeln werden für dich, in deinem Sinne. Verlass dich.«
    »Nein, ich kann mich auf niemanden verlassen. Ich muss mich alleine um alles kümmern.«
    »Das ist dein Problem und somit auch meins. Du verlässt dich nicht auf mich, auf niemanden, auf nichts. Du möchtest alles ganz alleine regeln, auch wo es nichts zu regeln gibt. Glaubst du wirklich, dass das Schlimmste ist, wenn du stirbst, wie das alles mit dem Testament geregelt ist? Glaubst du das? Nein. Das Schlimmste wird sein, dass du weg bist, für mich, für Liza. Da ist doch das Testament egal. Du kannst jetzt nicht regeln, dass wir nicht traurig sind. Wir sind dann traurig. Sehr sogar. Lange auch. Du kannst jetzt nichts machen, zu Lebzeiten, dass dein Tod weniger schlimm für uns wird. Und weißt du was, je mehr du

Weitere Kostenlose Bücher