Schossgebete
retten, das andere Auge aber ist auf den Feldern in der Nähe des Waldes. Da sehe ich immer die meisten Rehe. Dann hat ganz kurz mein Leben einen Sinn. Ich versuche das auch unseren Kindern zu vermitteln, das klappt aber leider überhaupt nicht. »Ja, ja, Mama, toll, ein Reh. Flipp doch aus.« Ich kann nicht erklären, warum ich diese Glücksmomente nicht versuche zu vermehren, indem ich im Wald wandere oder eine Försterausbildung mache. Ich bin ein großer Anhänger von Glück durch Verknappung. Gerade weil es so selten ist, dass man ein wildes Tier sieht, macht es wahrscheinlich das Glück so riesig. Ich habe auch schon oft beobachtet, dass es bei anderen Erwachsenen genauso ist. Ich kenne viele Erwachsene in der Stadt, die völlig begeistert darüber berichten, dass sie ein Eichhörnchen in ihrem Garten gesehen haben. Und wenn es mehrmals kommt, reden sie sich ein, dass es ihre Nähe sucht!
Heute ist leider kein wildes Tier zu sehen auf dem Grünstreifen, schade. Nächstes Mal vielleicht. Die glücklichen Momente in meinem Leben sind wirklich sehr selten. Bevor ich diesen deprimierenden Trampelpfad in meinem Kopf noch weiterdenken kann, bin ich wieder zu Hause.
Ich mache ganz kurz die Flamme wieder an. Sobald es brutzelt, nehme ich die Pfanne vom Herd und stelle sie auf das Hitzeding auf dem Tisch.
»Essen ist fertig.«
Ich muss es wie immer dreimal sagen, damit mein Mann vom Computer hochguckt und zu Tisch kommt, meine Tochter und ich sitzen schon. Keiner darf anfangen, bis alle sitzen. Alles ist streng reglementiert bei uns. Manieren, Manieren, Manieren, vielleicht hilft es ja später bei was.
»Guten Appetit.«
Kind nimmt sich zuerst. Sie möchte seit Neuestem auch uns auftun. Das bedeutet zwar, dass viel danebengeht, aber es bedeutet auch, dass sie lernt, wie man auftut, das ist ja eins meiner Ziele als gute Mutter.
Mein Mann und ich besprechen den morgigen Tag, meine Tochter beschwert sich sofort, dass keiner mit ihr spricht. Das ist das neue Ding, sich beschweren, dass keiner mit einem spricht. Alles kommt und geht in Phasen, hab ich in den letzten Jahren gelernt, wenn das Kind was macht, was wahnsinnig nervt oder einem große Sorgen macht, es wächst sich ständig raus und wird durch was neues Nerviges oder Sorgenerregendes ersetzt. Nichts bleibt. Es kommt immer was Neues und überlagert das Alte.
»Okay, wie war dein Tag in der Schule?«, fragt mein Mann seine Stieftochter.
»Sehr gut. Wir haben heute die neuen AG s gewählt.«
»Ja, und weiter? Was hast du denn gewählt? Nasepopeln und Pupsen?«
Großes Gelächter bei der Tochter.
Wenn er sie zum Lachen bringt, bin ich gerührter als auf meiner eigenen Hochzeit. Ich glaube, gerade weil er nicht der Vater ist. Ich lache auch gar nicht mit. Ist ja Kinderhumor, nur zu verstehen von Kindern. Ich überspiele meine Rührung mit einem aufgesetzten Stirnrunzeln. Wenn sich die Mutter von dem Humor distanziert, ist es noch lustiger für das Kind.
Wir essen alle drei sehr schnell. Zu schnell. Habe schon mehrmals irgendwo gelesen, dass man den Happs im Mund dreißig Mal kauen soll. Das finde ich aber, wenn ich es tatsächlich ausprobiere, ekelhaft. Ich habe dann so einen dünnflüssigen Brei in meinem Mund, der mich an nichts mehr von dem erinnert, was ich reingeschaufelt hab. Bis jetzt hat auch niemand was am Magen gehabt in unserer ganzen großen Familie, alle fressen am Tisch ganz schnell. Habe auch schon mehrmals versucht, dem Kind das mit dem oft Kauen beizubringen, aber wenn ich es selber nicht mache, bringt das wohl nichts. Also lass ich das laufen. Ich kann nicht alles perfekt machen. Nur fast alles.
Wir springen sofort nach dem Essen auf und räumen gemeinsam die Spülmaschine ein. Mir kommt das sehr schlecht für die Umwelt vor, dass wir die täglich benutzen. Mir wurde schon oft von meinem Mann und anderen Leuten erzählt, dass, obwohl die Spülmaschine Strom verbraucht und Wasser und Seife abpumpt, das besser für die Umwelt sei, als selber mit der Hand abzuspülen. Geht überhaupt nicht in meinen Kopf rein, aber ich mache das jetzt einfach so mit, auch wenn ich es kein bisschen glauben kann.
Der Umweltschutz macht mich wahnsinnig. Er kommt mir oft nicht logisch vor. Ich möchte gerne einmal alles bis ins kleinste Detail durchdacht haben, damit ich weiß, wie ich mich und wie wir uns in Zukunft zu Hause richtig verhalten. Ich möchte auf keinen Fall zu den Leuten gehören, die nichts machen, nur weil es die anderen auch nicht tun. Und ich
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