Schossgebete
zu suchen. Wirklich, ich will so bald wie möglich unser Benzinauto loswerden, sobald es ein erschwingliches Viersitzer-Elektroauto gibt. Das ist aber so ziemlich das Einzige, was ökologisch bei uns schiefläuft. Meistens konzentrier ich mich auf das, was noch nicht gut ist, statt stolz darauf zu sein, was wir als Familie schon alles richtig machen. Ich hoffe, dass Georg zu Hause ist. Ist nicht oft, dass wir uns noch überraschen, wir sind ja schon lange zusammen und verheiratet. Man gewöhnt sich aneinander, man hat nicht das Gefühl, dass man noch viel machen muss, um sich voreinander interessant zu machen.
Ich schließe in der ewig gleichen Handbewegung die Wohnungstür auf und rufe, wie immer viel zu laut: »Hallo?«, wenn ich reinkomme, um rauszufinden, wo der Mann sich befindet. Er ruft zurück, ich orte ihn in der Waschküche. Ich rieche die Luft und erkenne unser Biowaschmittel, das riecht nach Zitronen und Nüssen.
Er ist zwar eine absolute Sexmaschine, platzt fast vor Testosteron, kann aber alles im Haushalt besser als ich. Er hängt grad Wäsche auf. Ich laufe runter und bedanke mich bei ihm, dass er das macht. Das soll man doch auch ab und zu machen: wenn schon alles leicht einschläft, nicht auch noch seinen Einsatz, der weit über meinem liegt, im Haushalt als gegeben hinnehmen. Er lächelt mich leicht müde an. Ihm ist es peinlich, wenn ich mich bei ihm bedanke für so etwas.
»Wo warst du so lange?« Das ist aber ein schroffer Ton für seine Verhältnisse.
»Wie? Beim Kinderarzt und danach bei Drescher.«
»Mit Liza? Warum bringst du die nicht vorher hier vorbei?«
Oh, nein, Mistverständnis sagen wir dazu, er hat auf uns gewartet. Ich habe in der Hektik vergessen, ihm Bescheid zu sagen, jetzt weiß ich auch, warum er so komisch ist, er hat sich Sorgen gemacht. Der Tod ist immer dabei bei uns, auch in der Waschküche. Sag ich ja.
»Das tut mir leid, stimmt, du dachtest, ich bring Liza vor der Therapie vorbei. Ich habe sie schnell noch bei Stefan abgesetzt, er konnte sie früher nehmen, als ich dachte. Ich hätte dir Bescheid geben sollen. Tut mir leid. Entschuldigung.«
»Ich wollte eigentlich auch weg, Sachen erledigen. Und warte dann hier so doof rum, ich habe dich ganz oft angerufen.«
Mist, Vorwurf, Stimmung am Arsch. Ich wollte ihn doch freudig überraschen.
»Handy war leise. War doch in Therapie. Dachtest du, uns wär was passiert?«
»Ja. Nee.«
»Ja, uns ist aber nichts passiert. Mein Siebgehirn hat nur vergessen, dir Bescheid zu sagen, okay? Verzeih mir! Okay?«
Ich umarme ihn und küsse ihn auf die große Narbe auf der Wange, auf meine Lieblingsstelle an seinem Körper, wo seine krebsverseuchte Haut entfernt wurde, bevor wir uns kennengelernt haben. Daran sehe ich, wie stark er ist, auch der Krebs kriegt den nicht kaputt. Auch kein Unfall. Und ich erst recht nicht. Mein Gebirge in der Brandung.
»Ich habe eine Überraschung für dich: Der Arzt hat uns Tabletten gegeben, schon wenn man die erste nimmt, sind die scheiß Würmer tot. Bei mir sind die schon weg, wenn du eine gleich nimmst, auch bei dir.«
»Ich habe keine Würmer, wie oft soll ich das denn noch sagen?«
Ich muss lachen. »Ja, ist ja gut, dann nimmst du die eben vorsorglich, und wir planen den Puffbesuch doch heute und gehen morgen früh, was meinst du, direkt, wenn die aufhaben. Liza ist die nächsten zwei Tage bei Stefan, und wir machen uns eine schöne kinderfreie Zeit.«
»Willst du wirklich? Ich denke immer, du freust dich, wenn es abgesagt wird.«
»Ja, stimmt auch. Da muss ich halt durch, für dich. Na ja, ich find’s ja auch geil, wenn ich dann da breitbeinig liege und die mich leckt, geht doch gar nicht anders, rein mechanisch schon. Machen wir das so? Dann vergessen wir den blöden Wurmabend gestern.«
Mit einem Arm hält er mich weiter fest, und ohne es selber zu merken, wandert seine andere Hand zu seinem Po, und er kratzt sich. Ich muss ihm unbedingt gleich die Tablette geben. Ich würde mich gerne mal so wohl in meiner Haut fühlen wie er. Er macht viele Dinge, die er nicht merkt, weil er sich nicht so gnadenlos selber beobachtet wie ich mich. Schön ist das.
Er grinst schon vor Vorfreude auf unseren Ausflug.
»Komm, ich räum noch den Kram weg, dann gehen wir Mittag essen.«
Ich setze mich auf die Couch und versuche ruhig zu atmen. Das soll ich laut Frau Drescher zwischendurch mal versuchen. Sonst mache ich hektisch immer irgendwelche Sachen, um vor mir und dem Unfall und meiner nicht
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