Schottische Ballade
eine Sache, den Krieg gegen seine Freunde zu üben, aber eine andere, Stellung zu beziehen und gegen sie zu kämpfen. Nein, ich könnte das nicht tun. Wir werden nach Glenshee zurückkehren und uns dort verkriechen.“
„Warten, bis Alexander angreift.“
„Ja“, sagte Lion düster. Wenn Alexander sie ohne Grund belagerte, könnte sein Vater den König davon überzeugen, wie gefährlich sein Bruder war. Doch dann wäre es wahrscheinlich schon zu spät, die Bewohner von Glenshee zu retten. Lion fuhr sich mit der Hand durchs Haar und blickte hinüber zu Rowena. Beim ersten Anzeichen von Gefahr wollte er sie nach Hillbrae zurückschicken. Gleichgültig, wie sehr er diesen Gedanken auch hasste.
„Lady Rowena hat die Stimmung des Jungen gehoben“, sagte Wes. Tatsächlich, Colins Weinen war verstummt, ruhig saß er neben ihr. „Sie ist schön und freundlich, deine Lady.“
„Ja, das ist sie. Du nimmst dich jetzt am besten Colins an und machst ihn bereit für den Ritt nach Creagan.“
Colin weinte nicht, doch Tränen schimmerten in seinen Augen, als er Lion und Rowena Lebewohl sagte. Lion spürte einen Schmerz in seiner Brust, als er sah, wie der Bursche mit seinen Sutherlands im Wald verschwand.
„Das war eine wunderbare Tat, die du vollbrachtest“, sagte Rowena und legte ihre Hand zärtlich auf seinen Arm.
„Es ist wenig genug - das Leben eines Jungen, wenn Dutzende, Hunderte starben und noch Tausende sterben müssen, wenn Alexander nicht Einhalt geboten wird.“
„Wie? Wie kannst du hoffen, ihn aufzuhalten?“
„Indem ich beweise, dass er ein Verräter ist.“ Unter Rowenas argwöhnischem Blick erzählte ihr Lion, was sie vermuteten. „Als ich einen Blick in Alexanders Kassette warf, sah ich mehrere Pergamentrollen, die das Siegel mit dem Eberkopf der Campbells trugen. Ich muss sie nur noch in die Hände bekommen“, fügte Lion hinzu.
„Ich könnte behaupten, noch ein anderes Stück von seinem schrecklichen Geschmeide sehen zu wollen.“
„Nein, das wäre zu gefährlich. Ich hätte dich nicht mit hineinziehen sollen, doch die Gelegenheit ergab sich.“ Er lachte vor sich hin und schüttelte den Kopf. „Ich glaube, ich werde den Kuchenteig in dem Ring belassen, als Erinnerung, dich nicht zu zwingen, Geschenke anzunehmen, die du nicht willst.“
Sie lachte. Lion wurde sich plötzlich schmerzlich bewusst, dass sie allein waren, wirklich allein, zum ersten Mal, seit er wieder in ihr Leben getreten war. Auch sie bemerkte es, denn ihre Augen verdunkelten sich, als er nach ihr griff.
Ihre Lippen trafen sich.
Das Aufflammen der Leidenschaft war so plötzlich wie ein Feuersturm der Gefühle und ihrer Erregung. Er hob sie hoch, so dass ihre Körper eng aneinander geschmiegt waren. Er spürte in diesem Kuss Begierde und Verletzlichkeit. Als sie sich an ihn drängte, regten sich seine Bedürfnisse, es war ein Geben und Nehmen. Sein Blut geriet in Wallung, sein Herz schlug wild.
Scharf und schrill durchbrach etwas den Schleier des Vergnügens.
Lion hob seinen Kopf gerade in dem Augenblick, als ein wilder Eber über die Lichtung jagte. Seine Augen waren feuerrot vor Wut, seine gelben Hauer schimmerten scharf und tödlich wie stählerne Lanzen.
11. KAPITEL
Rowena rang nach Atem, als Lion sie plötzlich emporriss und hinter sich schob.
„Lauf zu der Eiche und klettere geschwind hinauf“, befahl er und zog sein Schwert.
Sie bemerkte den Eber und erstarrte. Er war so nah, dass sie die Borsten auf seinem hässlichen Rüssel und seinen bösen Blick sehen konnte. „Du kannst ihn nicht mit dem Schwert töten.“
„Nein, doch ich kann ihn abwehren. Nun lauf! Sieh zu, dass du zur Eiche kommst.“
Beinahe zu spät wurde ihr bewusst, dass ihr Zögern sie beide in Gefahr brachte. Sie wandte sich um und eilte stolpernd auf den Baum zu. Seine Äste hingen einladend bis zum Boden. Atemlos ergriff sie den tiefsten und zog sich hoch. Noch ehe sie sich auf dem rauen Ast niedergelassen hatte, blickte sie zu Lion zurück.
Der Eber hatte ihn fast erreicht, mit gesenkten Hauern versuchte er, Lions Beine zu rammen.
„Heilige Maria, nein“, rief Rowena atemlos. „Lion!“
Im letzten Augenblick sprang er zur Seite und wich dem tödlichen Angriff aus. Sein Schwert kerbte die zähe Haut, konnte sie indes nicht durchdringen. Als das Wildschwein quiekte, warf sich Lion herum und rannte zu dem Baum.
„Beeil dich, Lion, beeil dich!“ Rowena kletterte höher auf den nächsten Ast. Doch der Eber war nahe. Sehr
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