Schottische Disteln
fahren?«
»Ich bin fertig.«
Die Wirtin begleitete sie zur Tür. »Wann kommen Sie denn wieder? Soll ich ein Mittagessen für Sie richten?«
Aber Ryan schüttelte den Kopf. »Danke, die Dame ist heute mein Gast.«
Dann hielt er die Wagentür für Andrea auf, setzte sich hinter das Steuer und startete.
»Etwas neugierig die Dame, was?«
»Ich nehme an, sie hat eben selten eine Abwechslung. Besonders angetan hatte es ihr die Puppe. Sie meinte, die sei sehr wertvoll.«
Ryan zuckte die Schulter. »Was für einen Wert hat so ein Stück schon, wenn es im Laufe der Jahre auf einem Speicher verrottet?«
»Für mich ist es eine wertvolle Erinnerung an einen verregneten Tag in Schottland und an einen großzügigen Schäfer.«
Ryan sah sie an und lächelte. Er würde auf jeden Fall versuchen, die Wahrheit zu vertuschen, bis er sie wirklich gut kannte. Sollte sie ihm das später übel nehmen, hatte er Pech gehabt, sollte sie Verständnis dafür haben, hatte er gewonnen, eine Frau nämlich, die ihn nicht um des Geldes willen akzeptierte oder gar mochte.
»Warum so nachdenklich?« Andrea spürte, dass ihn etwas bewegte, dass er nicht so frei und offen war wie gestern. »Haben Sie Probleme?«
»Leider ja.«
»Kann ich helfen?«
»Ich fürchte, nein.«
»Wollen Sie darüber sprechen?«
»Es ist sehr schwierig. Ich habe ein großes Problem, und ich weiß nicht, worin es besteht.«
»Aber wenn man ein Problem hat, kennt man es doch auch. Kommen Sie, reden Sie, vielleicht können wir es zusammen lösen.«
»Ich möchte Sie da nicht hineinziehen.«
Andrea überlegte. Hatte die Wirtin vielleicht doch Recht? Hatte er die Ware für den Trödelmarkt gestohlen? Aber Andrea war kein Mensch, der um den heißen Brei herumredete, und so fragte sie geradeheraus: »Haben Sie die Sachen gestohlen, die Sie da gestern auf dem Markt angeboten haben?«
Ryan lachte laut: »Halten Sie mich etwa für einen Kriminellen?«
»Könnte doch sein. Woher hat ein Schäfer so wertvollen Krempel?«
»Um Gottes willen, hören Sie auf. Ich bin doch kein Dieb. Ich hatte jedes Recht, die Sachen anzubieten und zu verkaufen.«
»Ist ja schon gut«, beruhigte Andrea ihn. »Es war ja nur eine Frage, und es war auch nicht böse gemeint. Und schließlich geht es mich ja auch nichts an.«
Ryan bog von der Straße ab und fuhr einen kaum erkennbaren Heideweg entlang. »Wir sind da.«
Andrea sah sich um. Der Wagen stand inmitten einer Schafherde vor einem schlichten Haus aus grauem Granit und wurde von zwei Hunden freudig bellend umtobt.
»Und wo, bitte schön, sind wir hier?«
»Bei mir.«
Etwas unwillig sah Andrea ihn an. »Hatten wir das ausgemacht?«
»Nein, aber damit fängt mein Problem schon an. Ich kann Haus und Herde nicht allein lassen.«
»Aber gestern konnten Sie das noch.«
»Ja, leider ist etwas dazwischengekommen.«
»Und Sie wollen mir nicht sagen, was los ist?«
»Erstens hatte ich einen sehr unliebsamen Besuch gestern Abend, und heute Nacht kam ein leider noch nicht gelöstes Problem dazu.«
Ryan erzählte ihr von der Frau, von den Kaninchen, von dem Schafstöter, dem fehlenden Gewehr und den Kadavern, die heute wieder aufgetaucht waren. »Und nun habe ich Angst, dass Sie sagen: ›Danke, mir reicht‘s‹, und dann darf ich Sie zurückfahren, und alles ist zu Ende.«
Andrea sah ihn an: »Erstens bin ich nicht ängstlich, zweitens sieht es hier sehr nett aus, und drittens, was meinen Sie mit ›alles ist zu Ende‹?«
»Hm, schwer auszudrücken, auf jeden Fall wäre etwas zu Ende, was noch gar nicht angefangen hat, was aber sehr schön sein könnte.«
»Drücken Sie sich deutlicher aus, ich habe nicht den Eindruck, dass Sie ein Mann sind, dem es an Worten fehlt.«
»Wie Sie wünschen: Ich finde Sie sehr sympathisch, ich möchte, dass wir uns besser kennen lernen, ich möchte, dass wir uns gegenseitig verstehen und dass wir uns vertrauen können.«
»Ist das nicht sehr viel für eine Wochenendbekanntschaft?«
»Wenn Sie es so sehen, ja. Aber ich hatte gehofft, die Bekanntschaft würde länger dauern.«
»Sie wissen, dass ich morgen weiterfahre, dass ich beruflich unterwegs bin und einen festen Terminplan einhalten muss.«
»So genau wusste ich das nicht, woher auch, aber ich bin sicher, da ließen sich Möglichkeiten finden. Nur habe ich nicht mit diesem Schlamassel hier gerechnet.«
»Ich schlage vor, wir genießen diesen Tag, wir machen einfach das Beste daraus und denken nicht an morgen, einverstanden?«
»Ja, mit
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