Schottische Disteln
gut kennen Sie Miss Steinberg?«
»Nicht sehr gut, Professor. Aber mir steht diese Frau sehr nahe.«
»Können Sie offen mit ihr sprechen?«
»Ja, ich denke schon.«
»Dann sprechen Sie erst einmal mit ihr. Sagen Sie ihr die Wahrheit, was ihr Aussehen betrifft, und fragen Sie einfach, was ihr lieber ist.«
»Hm, das wird nicht ganz leicht sein.«
»Deshalb wollte ich hier mit Ihnen sprechen.«
»Ich versuche es.«
»Gut, und dann sollten Sie auch bald mit ihr über sich selbst sprechen. Sie sollte die Wahrheit über Ihre Person von Ihnen hören, sonst erfährt sie es von dritter Seite, und das wäre für Ihre Beziehung sicherlich nicht gut.«
»Wie meinen Sie das, von ›dritter Seite‹?«
»Sie bittet um ein Telefon, Sie möchte unbedingt mit einem Verlag in Edinburgh telefonieren. Sie will Hamburger Freunde anrufen, sie bittet um Zeitungen und fragt nach einem Fernseher.«
»Ja, damit musste ich rechnen.«
»Also?«
»Gut, ich spreche mit ihr. Erst über mich, dann über die Kopfwunde. Geben Sie mir genügend Zeit.«
»Natürlich. Klingeln Sie nach der Schwester, wenn es so weit ist.«
Nachdenklich ging Ryan über den langen Flur. Da kam einiges auf ihn zu, aber eine Lösung fand er auf dem kurzen Weg nicht. Man musste sehen, wie sich das Gespräch entwickelte. Mit großen Augen in dem blassen Gesicht sah Andrea ihm entgegen. Sie saß leicht angelehnt in ihrem Bett, zum ersten Mal ohne dieses grüne Klinikhemd, sondern von Seide und feinen Spitzen umhüllt, und versuchte zu lächeln.
»Wie geht es dir, Andrea?«
»Der Rücken tut wieder sehr weh, aber das geht vorbei, es kommt durch das Fädenziehen heute Morgen.«
»Du siehst sehr hübsch aus.«
»Ach Ryan, irgendjemand hat mir Berge von feinster Wäsche geschickt. Ob das auch der Verlag war? Ich verstehe das gar nicht.«
»Die Sachen habe ich besorgt, Andrea. Du warst doch nicht auf einen wochenlangen Krankenhausaufenthalt eingerichtet, als du nach Schottland gekommen bist.«
»Aber Ryan, wieso hast du das gekauft? Du kennst mich doch kaum. Und überhaupt, ich erkenne sehr teure Sachen. Die kannst du doch gar nicht bezahlen.«
»Warum sollte ich dich nicht ein bisschen verwöhnen? Du bist doch ein sehr nettes Mädchen.«
»So ein Unsinn, du weißt doch gar nichts von mir. Sag mal ehrlich, wie viel Schafe musstest du verkaufen, um diese Sachen zu besorgen?«
»Gar keine, Andrea. Ich habe etwas Geld, und ich kann mir das leisten.«
»Das glaube ich nicht.«
»Doch, das musst du. Ich möchte dir etwas erzählen.«
»Etwas Schlimmes?«
»Nein, aber vielleicht magst du mich hinterher nicht mehr.«
»Warum sollte ich dich nicht mehr mögen?« Sie lächelte. »Und wer sagt denn, dass ich dich jetzt mag?«
»Ich habe dich belogen ... oder, besser gesagt, ich habe dich etwas getäuscht, nicht so ganz die Wahrheit erzählt.«
»Dann aber heraus damit.«
»Wie du weißt, haben wir uns getroffen, als ich Urlaub machte. Ich habe eine kleine Herde gehütet und in einem bescheidenen Cottage gewohnt, das ist die Wahrheit. Etwas anders steht es um das, was ich mache, wenn ich nicht Urlaub habe. Dann arbeite ich in einer großen Firma, in der Bohrinseln für die Nordsee gebaut werden.«
»Ja? Das hättest du mir doch sagen können, was ist daran so schlimm?«
»Es ist eben so, dass mir diese Firma gehört.«
Andrea schwieg einen Augenblick. Dann lachte sie: »Da hast du mich ja ganz schön auf den Arm genommen. Und ich hielt dich für einen armen, stinkenden Schäfer.« Dann wurde sie wieder ernst. »Und weshalb diese Schauspielerei?«
»Auch die Bauern da oben rund um Dyke hatten – wie ich irrtümlich glaubte – keine Ahnung, wer ich wirklich bin. Und du verstehst mich vielleicht besser, wenn ich dir sage, warum: Diese einfachen Leute kennen mich und mögen mich, weil ich scheinbar einer von ihnen bin. Sie sind meine Freunde. Freunde, die ich als wohlhabender Mann nie finden würde. Verstehst du, was ich meine.«
»Ja.«
»Als ihr Freund habe ich auf diesem Trödelmarkt gesessen, als du mich kennen gelernt hast, und als Freunde haben sie mich im Cottage besucht, als du da warst. Ich hatte gar keine Gelegenheit, dir sofort zu sagen, wer ich wirklich bin. Und eigentlich gefiel mir der Gedanke, nichts weiter als ein Schäfer zu sein. Sicher, als wir dann allein waren, hätte ich dir die Wahrheit sagen können, verzeih mir, aber da hatte ich Angst, du nimmst mir die Lügerei übel und willst mich nicht mehr wieder sehen.«
Andrea sah ihn an
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