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Schottische Disteln

Schottische Disteln

Titel: Schottische Disteln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Canetta
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rechnen, dass der Deutsche in den nächsten Tagen zurückkommen würde, und er hatte keine Ahnung, wie eng die Bindung zwischen diesem Mann und Andrea war. Auf seine Andeutungen hatte sie nicht reagiert, und fragen konnte er sie nicht. Da war ihm nun endlich eine Frau begegnet, die er lieb haben und umsorgen wollte, und er wusste nicht, wie er es anfangen sollte.
    Es passte überhaupt nicht zu ihm, so unbeholfen und ratlos zu sein. Von klein auf war er streng und hart erzogen worden. Kaum hatte er das entsprechende Alter erreicht, schickten ihn die Eltern in das berüchtigte Internat von Gordonstoun, »damit ein richtiger Mann aus dir wird«, wie sein Vater das begründete.
    Nach dem Abitur kam die Militärzeit, dann studierte er Volkswirtschaft und Soziologie, und direkt nach dem ersten Staatsexamen begann seine praktische Ausbildung auf der Werft. Es schüttelte ihn immer noch, wenn er an die erste Lehrstelle in der Schmiede dachte, an die groben Männer, die den Auftrag hatten, ihn hart ranzunehmen. Dann kamen die anderen Betriebe, die Schweißerei, die Schlosserei, die Ausbildung bei den Elektrikern, bei den Malern, in der Tischlerei. Nichts blieb ihm erspart, bis er über die Buchhaltung und die Personalabteilung die Direktionsetage erreichte. Aber anstatt dort zu arbeiten, setzte er sich zum ersten Mal gegen seinen Vater durch und ging für drei Jahre nach Norwegen, um alles über den Bau von Bohrtürmen zu erfahren. Er lernte zu planen, zu zeichnen, zu rechnen, zu konstruieren und schließlich zu bauen. Draußen, dreißig Meter hoch über dem Meer, machte er seinen Abschluss als Ingenieur, und von dem Tage an durfte ihm niemand mehr etwas vorschreiben, auch sein Vater nicht. Er übernahm die Firma, als er vierzig Jahre alt war, und seine Eltern gingen nach Washington.
    Zeit für sich selbst hatte er in diesen Jahren der Schufterei nie. Und als es schließlich besser wurde, als die Umwandlung vom Schiffbau in die erfolgreichen Werftanlagen für Bohrinseln vollzogen war, da wusste er kaum noch, wie es ist, frei zu sein, Muße zu haben, sich jung zu fühlen. Er hatte einfach keine Zeit, ernsthaft Freunde zu suchen, sich mit Frauen zu beschäftigen, Reisen zu machen oder interessante Menschen kennen zu lernen. Und nun, völlig unerwartet, war an einem verregneten Nachmittag eine Frau in seinen stinkenden Schaftransporter getreten und ließ ihn einfach nicht mehr los. Ganz schön verfahren, die Sache, überlegte er und beobachtete, wie sein Chauffeur einer Demonstration von Umweltschützern auswich und über Nebenstraßen zum Firmengelände fuhr. Das Haupttor war geschlossen, und vier Frauen hatten sich an das Eisengitter gekettet.
    »Sollen wir die Durchfahrt erzwingen, Chef?«, fragte ihn einer der Leibwächter.
    »Nein, wenn ich es richtig sehe, sind die Medien auch schon da. Ich will kein Aufsehen und vor allem keine Gewalt. Aber halten Sie bitte kurz an.« Ryan ließ das Fenster herunter und beobachtete die Szene. Die Demonstranten blockierten die Straße, und die Polizei schien fest entschlossen, sie zu vertreiben. Eine drohende Eskalation hing in der Luft wie die Elektrizität eines Gewitters. An einer anderen Stelle versuchten Umweltschützer, aus den Tischen und Bänken eines Gartenlokals eine Barrikade zu errichten, aber die meisten der jungen Leute liefen planlos hin und her. Irgendwo schrillte eine Stimme aus einem Megaphon, sie musste vom Ende der breiten Straße kommen, die vorn am Eingangstor zur Werft endete. Ein paar Streifenwagen standen in Nebenstraßen, einige davon mit rotierendem Blaulicht, aber ohne Sirene.
    »Fahren Sie über die Northern Bridge und von hinten ins Gelände«, erklärte Ryan dem Chauffeur, »und rufen Sie den Posten dort an, damit er das Tor öffnet, sobald er uns sieht.«
    Als er endlich im Verwaltungsgebäude eintraf, hatten die Direktoren sich versammelt und warteten bereits auf ihn. »Wir haben hier ein Schreiben von der Umweltorganisation. Es ist die Kopie eines Briefes, den angeblich auch die Medien bekommen haben.«
    Ryan ging in sein Büro. »Kommen Sie bitte mit«, forderte er seine fünf engsten Mitarbeiter auf und setzte sich an seinen Schreibtisch, um das Papier zu lesen. Eine der Unterschriften war die von Karen Brendan.
    »Das ist es also«, nickte er und sah seine Direktoren an. »Das ist zum einen ein persönlicher Racheakt, der mir gilt, und zum anderen sind sie der Meinung, wir verseuchen die Bucht mit verunreinigten Abwässern. Menschen, die an den

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