Schottische Engel: Roman (German Edition)
bin ein sehr bescheidener Mann. Nur Ihre Hand, bitte, für einen Augenblick.« Und ganz behutsam streichelte er ihre Hand, jeden Finger einzeln, dann küsste er sie noch einmal und legte mit einer äußerst sanften Bewegung ihre Hand in ihren Schoß zurück. »Danke.«
Und nach einer Weile, in der sie beide in die Flammen gesehen hatten und den eigenen Gedanken nachgegangen waren, fragte er: »Würden Sie mir die Freude machen und mich David nennen? Ich möchte so gern auf das ›Sie‹ verzichten.«
Betroffen von der Eindringlichkeit seiner Bitte und auch etwas erschrocken von der Intensität, mit der sie ausgesprochen wurde, nickte sie. »Ich heiße Mary.«
Aber als er aufstand und eine Flasche Champagner öffnen wollte, schüttelte sie den Kopf. »Bitte nicht.« Dann stand sie ebenfalls auf und stellte sich vor ihn. »Aber einen Kuss darfst du mir geben.«
Mit einem tiefen Seufzer nahm er ihr Gesicht in seine Hände und küsste zärtlich und einfühlsam ihre Lippen.
Dann brachte er sie zurück in ihr Zimmer und wünschte ihr eine gute Nacht. »Ich danke dir für diesen wunderschönen Abend, Mary Ashton. Und ich bitte dich, bleib noch etwas bei mir. Deine Nähe tut mir gut.«
In dieser Nacht beschloss Mary, noch ein paar Tage zu bleiben. ›Warum eigentlich nicht?‹, dachte sie. ›Ob ich morgen oder in der nächsten Woche nach Edinburgh zurückfahre, ist letzten Endes gleich. Meine Arbeit bin ich mit Sicherheit los, und wenn McClay mich dazu überredet, wird er mich auch nicht im Stich lassen, wenn ich auf der Straße stehe.‹ Sie lag lange wach und machte sich Gedanken über ihre Zukunft, und dann dachte sie an den antiken Engel und an seine Bedeutung. Da das ›Museum of Art History‹ bereits die anderen beiden Engel besaß, wusste sie, dass der Zyklus, einst von Maria Stuart für die eigene calvinistisch geprägte Nationalkirche, die Church of Scotland, bei Titurenius in Florenz bestellt und bezahlt worden war. Leider waren die Engel damals nie in Edinburgh angekommen. Erst im Laufe der letzten Jahre waren zwei bei einer Haushaltsauflösung in einem Schloss und bei einem Kirchenabriss wieder aufgetaucht. In mühsamer Kleinarbeit, verbunden mit großen Kosten, hatte das Museum die Engel erworben und in die ursprünglich bestimmte Heimat zurückgeholt. Und dann hatte man sie, die unbedeutende Mary Ashton, mit der Aufgabe betraut, den letzten Engel heimzuholen.
Bei dem Gedanken an die große Bedeutung ihres Auftrags traten ihr wieder die Tränen in die Augen. Aber dann wischte sie sie resolut weg. Es war nicht ihre Schuld, dass sie mit leeren Händen zurückkam. Selbst der Direktor hätte einen Engel, der nicht vorhanden war, nicht ersteigern können. Da hatte Lord McClay wirklich recht. Selbst mit dem Unfall hatte dieser Misserfolg nichts zu tun.
Mary beruhigte sich und schlief endlich ein. Aber während der restlichen Nacht träumte sie immer wieder von einem grauen, verwitterten Holzengel, der neben ihrem Bett stand und immer größer wurde, der sie schließlich am Arm berührte und mit ihr sprach. Und als sie erschrocken die Augen aufriss, stand Hanna neben ihrem Bett und reichte ihr mit einem Lächeln die Tasse mit dem morgendlichen Tee. »In einer Stunde serviere ich den Lunch, es ist gleich elf Uhr, Miss Ashton.«
VIII
Strahlend und heiter verdrängte der Morgen die Nebelschleier der Nacht, die den See und die Berge verhüllten. Mary stand langsam auf, schnelle Bewegungen duldete ihr Kopf noch nicht, und zog die Vorhänge zurück. Die Sonne stand schon hoch am Himmel und zeigte ihr, dass sie den halben Morgen verschlafen hatte. Sie trank den heißen Tee, den Hanna mit Sahne und Kandiszucker verfeinert hatte, zog eine Plastikhaube über den Kopf, um das Pflaster zu schützen, und ging unter die Dusche. Dann zog sie sich an. Zum Glück hatte eine gute Fee ihre Garderobe gereinigt und gebügelt. Sie konnte eine frische Bluse und den Tweedrock anziehen. Viel Garderobe hatte sie sowieso nicht dabei, eben nur das, was man für eine Zwei-Tage-Reise braucht: Wäsche zum Wechseln, einen Pyjama und neben der Reisekleidung ein Kostüm mit Blusen, die für den geschäftlichen Auftritt bei der Versteigerung gedacht waren. Sogar die Schuhe, gestern noch feucht und stumpf, standen jetzt trocken und geputzt vor ihrem Bett.
Mary trat vor den Spiegel. Sie sah schlecht aus, das ließ sich nicht verheimlichen. Augenringe, die von den nächtlichen Sorgen und der Gehirnerschütterung zeugten, und eine blässliche
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